Mitte zwanzig hätte ich geschworen, dass ich niemals irgendwo anders als in Berlin leben möchte. Fünf Jahre später war ich mir da nicht mehr so sicher. Noch zu Beginn des Jahres 2020 war ich felsenfest davon überzeugt, dass eine dauerhafte Bleibe nichts für uns ist, dass Yoeri und mir das Nomadentum einfach liegt, zumal es noch so viele Ecken dieser Welt gibt, die wir gerne entdecken, filmen, fotografieren, beschreiben und betauchen möchten.

Doch dann kam Corona. Auf einmal ging von der Vorstellung einer festen Unterkunft, zumindest als Basis, eine ganz andere Anziehungskraft aus. Statia schob sich ganz natürlich zurück in unser Bewusstsein. Denn wenn wir sesshaft werden müssten, war die tropische Seite der Niederlande nicht die schlechteste Wahl. St. Eustatius bietet mit das beste Tauchen der Karibik, was die Vielfalt der Arten und Habitate betrifft. Und das ist bei weitem nicht der einzige Pluspunkt des recht unbekannten „Golden Rocks”. Die ruhmreiche Geschichte kann sowohl an Land als auch unter Wasser entdeckt werden.

Go Statia: Postcard with warm regards from Devocean Pictures. View from Gilboa Hill towards the Quill on St. Eustatius, Caribbean Netherlands. Foreground dry grass land with rocks, then bushes and some cacti, green plains and lush mountain forest along the volcano. In the far back is St. Kitts and some clouds in the blue sky.

Go Statia

Wir empfehlen die Insel liebend gern, seit wir 2014-15 eines der Tauchzentren leiten durften. Genauer gesagt, versuchten wir, das Tauchzentrum zu leiten. Denn, obwohl uns das Besitzerpaar genau dafür eingestellt hatte, wollte es die Leitung partout nicht aus der Hand geben. Mit wachsendem Entsetzen mussten sie mitansehen, wie wir die Taucher*innen nicht nur nach ihren Wünschen fragten, sondern uns auch noch flexibel auf eben diese einstellten. Dass wir alles darauf ausrichteten, den Besucher*innen die bestmögliche Erfahrung zu bieten, war ihnen ganz und gar nicht geheuer. Der Vorwurf, wir würden die Tourist*innen manipulieren, war nur einer der Gründe, warum wir letztlich unseren Vertrag nicht verlängerten.

Doch ganz losgelassen hat uns Statia seitdem nicht mehr. Das könnte daran liegen, dass wir beide einen Blue Bead, eine dunkelblaue, fünfkantige Perle von knapp zwei Zentimetern Länge, besitzen. Solche Perlen wurden in den Niederlanden im 17. und 18. Jahrhundert hergestellt, um damit einerseits in Afrika Sklaven zu kaufen und andererseits Sklaven zu „bezahlen“. Es gab andere Farben und Formen, aber diese fünfkantigen blauen wurden speziell für Statia angefertigt.

Blue Beads auf der Suche nach neuen Besitzern

Dem Mythos nach versammelten sich die ehemaligen Sklaven, nachdem das Königreich der Niederlande die Sklaverei am 1. Juli 1863 für beendet erklärte, an den Klippen und schmissen die blauen Perlen als Zeichen ihrer Emanzipation ins Meer. Eine alternative, allerdings bei weitem nicht so schöne Erklärung dafür, dass man noch heute viele Blue Beads in der Bucht finden kann, ist, dass ein Schiff voller Perlen vor der Insel auf Grund ging. Allerdings findet der modernen Legende nach, der Blue Bead dich und nicht umgekehrt.

Unsere Perlen warteten also für hunderte Jahre darauf, sich uns zu offenbaren. Als ich versuchte, mich am Tauchplatz Blue Bead Hole vorsichtig einem Flughahn zu nähern, blitzte auf einmal etwas Blaues im Sonnenlicht. Ich ließ den fünfzehn Zentimeter langen Fisch, der seine sehr stark vergrößerten und bunt gezeichneten Brustflossen eigentlich nur als Drohgebärde spreizt, von dannen ziehen und zog meine Perle aus dem Sand.

3 pics composition of Yoeri&Nicki in light blue

Geschichte und Meer

Auch Yoeris Blue Bead fand an diesem Tauchplatz mit echten Muck-Diving-Qualitäten seinen neuen Besitzer. So wenig mir vorher über die Geschichte der Blue Beads bekannt war, so wenig war uns beiden bewusst, dass es einen Atlantischen Mimik-Oktopus gibt, um nur ein weiteres der abgefahrenen Geschöpfe beim Namen zu nennen, die sich in den Weiten des Sandes zu Hause fühlen.

Jegliche Artefakte, vor allem Pfeifen und Keramiken, müssen an Ort und Stelle verbleiben, selbst wenn es sich nur um Scherben handelt. Große Funde kann man der Organisation SECAR (St. Eustatius Center for Archaeological Research) melden, um sie bei ihren archäologische Studien an Land und im Wasser zu unterstützen. Die Blue Beads sind die einzigen historischen Artefakte, die man ausführen darf. Immerhin haben sie sich ihren Finder selbst auserwählt.

Der Wert dieser Perle der Karibik zeigt sich nicht allein in den Schätzen der Natur. SECAR ist nach STENAPA die zweite große NGO auf Statia und widmet sich dem kulturellen Erbe. Das Ziel der 2004 gegründeten Organisationen ist dabei, die historischen Ressourcen der Insel gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung zu schützen und zu entwickeln. Dafür haben sie feste Mitarbeiter und Freiwillige Jeder, der sich für Archäologie und Geschichte der Insel interessiert, ist willkommen. Die Aufklärungsarbeit des Vereins umfasst die lokale, nationale und internationale Öffentlichkeit. Es werden innovative Technologien und Methoden entwickelt, um das kulturelle Erbe über und unter Wasser zu bewahren und mehr Wissen aus den Funden zu gewinnen. Dazu werden gemeinsam mit anderen Akteuren und (staatlichen) Stellen Konzepte ausgearbeitet, wie Fundstellen sowohl geschützt als auch touristisch genutzt werden können.

Freie Übersetzung auf Basis der Selbstdarstellung von SECAR

Alle, die nicht tauchen, haben nach Stürmen und starken Regenfällen die besten Chancen, entlang des Ufers einen Blue Bead zu finden. Wem sich eine blaue Perle anvertraut, dessen Schicksal ist es, nach Statia zurückzukehren. 

Im Bann der blauen Perlen

Bei uns wirkte es. Während wir im Sommer 2020 auf Bali festsaßen, träumten wir bereits von unserem Neuanfang auf Statia (Nach Hause kommen). Erst im August 2021 konnten wir dem Ruf der Perlen endlich folgen. Denn einfach so können nicht einmal Niederländer*innen nach Statia ziehen, von deutschen Ehefrauen ganz zu schweigen.

Daher kamen wir als Tauchlehrer*innen zurück auf die Insel. Wir hofften uns mit Leib und Seele einbringen zu können, denn nur Dienst nach Vorschrift zu schieben, liegt uns nicht. Außerdem wollte ich nie einfach „nur“ Tauchlehrerin werden (Endlich richtig abtauchen).

Black and white picture of the sea at the East coast of Bali: White Beach with a rock on the left and small incoming waves in long exposure / slow shutter speed. Postcard with warm regards with text: "Simply the best: Vitamin Sea"

In Wakatobi konnte ich mich als Übersetzerin einbringen und mich zudem ganz und gar in die atemberaubende Meereswelt und seine vielen schillernden Bewohner vertiefen. Darüber hinaus habe ich die Chance genutzt, die Gäste und mich selbst wirklich gut kennenzulernen (Miteinander, ob gleichgesinnt oder andersartig). Neues zu lernen, mich zu entfalten, Dinge voran und mich einzubringen, treiben mich an.

No-go on Statia

Doch für Eigenintiative und Entwicklung gab es auf Statia keinen Raum, dafür aber laufend unbezahlte Überstunden garniert mit Druck und schlechter Stimmung. Am Ende war es ein Blue Bead, der mir die Freiheit schenkte. Da unsere Perlen vom Meeresgrund sicher an einer Lampenschnur in den Niederlanden baumeln (Fly over the moores of Drenthe), sah ich es als Zeichen, als sich dieser weitere Blue Bead auf einem Spaziergang in der Küste im Osten der Insel zeigte. Wir waren hier auf der Insel richtig, nur arbeiteten wir am falschen Ort.

Die blauen Perlen in Drenthe über dem Bett.

Daraufhin gründeten wir Devocean Pictures und bewarben uns für erste Filmaufträge (Wie ich wurde, was ich bin: Mein Weg zur Gründerin von Devocean Pictures in der Karibik). Zwischendurch musste Yoeri noch, freilaufende Ziegen, Schafe, Kühe und Schweine schießen, um uns über Wasser zu halten. Statia ist schließlich nicht Indonesien, was die Lebenserhaltungskosten angeht.

Perlen sind das beste Geschenk

Doch mittlerweile machen wir genau das, was uns die blauen Perlen auf Bali ins Ohr geflüstert haben: Filmen, fotografieren und schreiben, um die Schönheit und Eigenheit der Insel mit der Welt zu teilen (Discover Statia: Hiking to, up , in, and around the Quill). Ich bin dankbar genau dies, nun nicht mehr allein auf unserer Website und den Blogs zu tun, sondern ebenfalls als Botschafterin für WOW! The nature film und Kolumnistin für Dossier Koninkrijksrelaties, wo ihr diese Geschichte in leicht abgewandelter Form auf niederländisch lesen könnt. Alle paar Wochen wird dort eine weitere Kolumne zu Statia veröffentlicht.

Die Perle hatte damit ihre Rolle erfüllt. Sie hat mich auf den richtigen Weg gebracht. Als meine Mutter zur Beginn des Jahres die Insel besuchte, haben wir das alle sehr genossen. Es war das erste Mal, dass sie uns an einer unserer Insel besuchen kommen konnte. Damit es nicht das letzte Mal gewesen ist, habe ich ihr meine Perle geschenkt. Wir werden sehen, ob sie bei ihr ebenfalls eine magische Wirkung entfalten kann. Am meisten gefallen hat ihr neben der Ruhe und Schönheit von Haus und Garten das Wandern auf Statia. Dazu schreibe ich bald mehr (Wandelen en dansen op de slapende vulkaan).

A small shell upside down on a brown surface. On it lays a Blue Bead from Statia (Caribbean Netherlands). Behind lays a snail shell. "Go Statia: Im Bann der blauen Perlen"

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