Diesen Monat hatten wir das Privileg, etwas Neues erleben zu dürfen. Nach über zwei Jahren auf der Insel in unbekanntes Terrain vorzudringen, ließ unser Herz hüpfen. Wir lieben wir es ohnehin, neue Wege zu gehen. Wenn Yoeri dann noch nach einer Tour, die mehr aus Klettern und Balancieren als Wandern bestand, fragt, ob wir bitte noch einmal mitkommen dürfen, lässt das tief blicken. Vielleicht waren wir nicht frei wie ein Vogel, aber wir suchten das Glück abseits der ausgetretenen Pfade (Wandern auf Statia).
Rotschnabel-Tropikvogel (Phaethon aethereus)
In diesem Fall durften wir Jobo, einen der Ranger von STENAPA (St. Eustatius National Parks), und Eleanor, die Leiterin des Marine Parks, begleiten, um entlang der karibischen Seite von Pilot Hill die Nester der Rotschnabel-Tropikvogel (Phaethon aethereus) zu untersuchen. Diese Seevögel zeigen sich selten in der Nähe von Land. Doch auf den niederländischen Karibikinseln Statia und Saba brütet ein Drittel der weltweiten Population. Wenn die Jungen mit den noch grauen Schnäbeln das Nest verlassen haben, können sie bis zu vier Jahren auf See verbringen, bevor sie selbst zum Brüten zurück zu ihrer Insel kommen.
Dann zeichnen sie sich neben dem namensgebenden roten Schnabel durch zwei weiße lange Schwanzfedern aus. Ein schwarzer Balken zieht sich vom Schnabelansatz über das Auge zum Hinterkopf. Auch wenn sie aus der Ferne komplett weiß gefiedert erscheinen, zieren ein paar schwarze Federn nicht nur die Flügelspitzen sondern zaubern auch ein Muster auf den Rücken der Vögel. Ausgewachsen erreichen sie 46-51 cm Körperlänge, mit der Schwanzfeder das Doppelte. Ihre Flügelspannweite kann bis zu einem Meter betragen.
Der Vogel-Flüsterer
Bisher haben wir Jobo als den Iguana-Flüsterer in Aktion erlebt. Jetzt klappert er routiniert die Nistplätze entlang Felsen ab, um Ellie ein ums andere Mal „empty“ zuzurufen, was sie unter der jeweiligen Nummer auf ihrem Beobachtungsbogen notiert. Während wir Ausblicke zum Meer filmen, taucht dort der erste Rotschnabel-Tropikvogel auf. Allerdings schneiden ihm zwei Fregattvögel den Weg zur Küste ab, um ihm seine Beute – meist fliegende Fische oder Tintenfische – abzuluchsen. Sie haben Erfolg.
Doch wir haben keine Zeit, den Tropikvogel zu bedauern, denn nun ruft uns Jobo „bird“ zu. Als wir uns in Positur gebracht haben, greift er mit Handschuhen in die Höhle. Unter lautem Protest kommt ein brütendes Elternteil zum Vorschein. Beide Geschlechter wechseln sich während der ca. 6-wöchigen Brutzeit ab.
Frei wie ein Vogel
Nachdem er Ellie die Ringnummer des Vogels durchgegeben hat, verkündet er froh, dass auch ein Ei im Nest liege. Dann darf der Tropikvogel auch schon wieder zurück in seine Höhle. Zweimal finden wir einen Vogel aber noch kein Ei, einmal ist das Ei leider aus dem Nest gerollt und ein Vogel muss noch beringt werden. Das absolute Highlight ist allerdings ein Küken.
Seiner gräulicher Flausch bauscht sich im Wind, während es etwas verdattert auf die verzückten Menschen blickt, die sich weder satt sehen noch genug fotografieren und filmen können. Dazu wiegt Jobo es in seinen Händen vor der Brust. Anschließend wandert das Küken vorsichtig in einen Stoffbeutel, damit Jobo das Gewicht bestimmen kann.
Der Weg der Seevögel
Obwohl die Vögel auf der Roten Liste der IUCN noch nicht als gefährdet eingestuft werden, sinkt die Population. Auf ihrer Website erklärt STENAPA, dass die Populationen von allen Seevögeln insgesamt in den letzten 50 Jahren um beinahe 70 % gesunken sind. Das ist der stärkste Rückgang aller Vogelgruppen weltweit und wird mit Überfischung, Zerstörung des Lebensraums, invasiven Arten, zunehmenden Stürmen und Veränderungen im Nahrungsangebot in Zusammenhang gebracht.
Was erwartet wohl die diesjährigen Jungvögel, wenn sie nach drei bis fünf Jahren wieder nach Statia zurückkehren (Wohin gehen sie? Freilaufendes Vieh auf Statia)? Nachdem das Küken wieder sicher in seiner Höhle sitzt, holt Jobo das Elternteil aus einem weiteren Stoffbeutel. Er streckt die Arme aus, um dem Vogel die Möglichkeit zu geben, ohne Hindernisse abheben zu können. Aus diesem Grund nisten die Vögel an Steilwänden und Klippen. Sobald sich Jobos Griff lockert, stürzt sich der Tropikvogel in die Lüfte.
In 30 Metern Höhe über dem Meer cruisen sie mit bis zu 44 kmh. Dieser Vogel will vor allem die menschliche Berührung hinter sich lassen. Sobald wir den Weg freigegeben haben, wird er zum Nest zurückkehren. Wir schätzen uns einfach nur glücklich, diese Erfahrung gemacht zu haben.
Der Weg zum Glück liegt im Sein
Jeder kennt den Spruch „Der Weg ist das Ziel“. Wie selbstverständlich schwang dieses Motto bei all unseren Erkundungen und Reisen mit. Doch erst, als ich kürzlich eine längere englische Version hörte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: „Be gentle with yourself because life is about the journey not the destination.“ So, wie es Alina Alive am Ende ihrer Videos als Lieblingszitat bringt, gebe ich ihr vollkommen recht, das gesamte Leben ist eine Reise. Oft liegen die schönsten Aussichten, die tiefsten Einsichten, intensivsten Momente und das eigene Glück abseits der Straßen. Und manchmal sogar in der Luft oder dem Meer.
Diese Geschichte wurde zuerst in der niederländischen Kolummne „Bericht uit Statia“ auf Dossier Koninkrijksrelaties veröffentlicht.