Unser Bali im Zeitraffer
Ich weiß nicht mehr, wie oft wir schon auf der Insel der Götter waren. Doch dies ist das erste Mal, dass wir Bali wirklich als unser Ziel auserkoren haben. Beim ersten gemeinsamen Besuch diente die Insel als Tor zu Indonesien und noch eine Weile blieb Bali reine Durchreisestation. Nach und nach bot dieses Kommen und Gehen einen wunderbaren Fixpunkt, um über uns und den Verlauf unseres Lebens nachzudenken und das sogar bei einem guten und, wenn man sich die 2-stündige Happy Hour hält, auch bezahlbaren Glas Wein. Momentan ist Bali einfach mein Stück des Himmels.
Bali vor unserer Zeit
Yoeri war das erste Mal 1998 für fünf Tage auf Bali. Seine damalige Freundin, mit der er auf Weltreise ging, hatte darauf bestanden nach Malaysia erst Bali zu besuchen, bevor es weiter nach Australien ging, wo Yoeri sich erst von besagter Freundin trennte und dann Tauchlehrer wurde. Ihre Basis für fünf Tage Bali war Kuta und dementsprechend auch Yoeris Sicht auf die Insel. Restaurants mit an die australischen Touristen angepasster Küche, Bars, jede mit Fernseher für Sportübertragungen und Souvenirläden, die sich im Sortiment kaum voneinander unterscheiden, reihen sich endlos aneinander. Nicht einmal der Strand ist sonderlich beeindruckend, wenn man nicht surft. Obwohl ihm die Tempel, die sie damals auf gebuchten Touren besuchten, schon gut gefielen, hatte er eigentlich nicht vor, noch einmal nach Bali zu reisen.
Meine Vorstellung von Bali basierte nicht nur auf „Eat, pray, love”, was mir eine gute Freundin geschenkt hatte, als ich auf die Philippinen zog, sondern auch auf einem Kurs zu Tourismus und Entwicklung, den ich in Geografie an der Uni Bochum belegt hatte. Inseln fand ich ja schon immer interessant und tropische umso mehr (Inselfieber) und dass Bali, sowohl kulturell als auch ökonomisch, eine Sonderstellung im vielfältigen und weiten Inselreich Indonesiens einnimmt, zog zusätzlich mein Interesse auf sich.
Zudem hatten die Bombenanschläge der islamistischen Organisation Jemaah Islamiyah im Oktober 2002 in Kuta , mit 202 Toten die bis heute folgenschwersten Anschläge in der Geschichte des unabhängigen Indonesiens, überaus deutlich gemacht, wie gefährlich es für eine Insel oder ein ganzes Land ist, wenn es sehr einseitig vom Tourismus abhängt. Laut Wikipedia brachen die Touristenzahlen auf Bali nach den Bombenexplosionen um 80 Prozent ein.
Unser erstes Mal
Wir kamen also im Dezember 2015 nicht ganz unvoreingenommen auf Bali an, konnten uns aber, wie im englischen Blog beschrieben, für die Kultur, die überall im Inselbild präsent ist und aktiv gelebt wird, begeistern. „Bali: Coming home” zeigt auch eine tiefere Verbundenheit, für uns war Bali ein Stück Indien in Indonesien: Bali berührt das Herz, die Seele und alle Sinne, ganz genauso wie es Long Island auf den Andamanen und Indien getan haben. Wir waren einfach extrem glücklich, wieder in Asien zu sein.
Allerdings war ich bis zu unserer Abreise vollauf damit beschäftigt eine Publikation fertigzustellen. Aus einem Paper für PowerShift e. V. war im Laufe der Recherche und des Schreibens eine handfeste Studie gewachsen, welche die Kollegen in Berlin im deutschlandweiten Bündnis AK Rohstoffe der Bundesregierung und der Europäischen Kommission kräftig um den Ohren hauen sollten: Alles für uns!? Der globale Einfluss der europäischen Handels- und Investitionspolitik auf Rohstoffausbeutung. Ich war dann mal weg.
Alles nach Gefühl
Ganz ins Blaue sind damals nicht losgezogen. Schon seit Monaten waren wir in Kontakt mit einem vielversprechend klingenden Tauchresort, welches sich zwar sehr interessiert zeigte, aber frühestens zum Frühjahr einstellen wollte. Da die Tage in Europa bedrohlich kurz wurden und uns die Kälte im Nacken saß, beschlossen wir der Sache den entscheidenden Schubs zu verpassen, indem wir uns im Büro in Bali persönlich vorstellten.
Das sollte doch einen bleibenden Eindruck hinterlassen und jedes Skypegespräch in den Schatten stellen. Wir waren fest davon überzeugt, dass wir die Stelle bekommen würden und bis dahin würden wir uns schon irgendwie in einem der vielen anderen Tauchgebiete des Landes über Wasser halten können. Nur Bali selbst sollte es nicht werden – viel zu überlaufen.
Willkommen in Sanur
Wir hatten uns für Sanur als ersten Anlaufpunkt entschieden. Anders als in Kuta, Legian und Seminyak auf der Westseite der Insel geht es hier eher beschaulich zu und statt Surfen gibt es Tauchen. Es war einfach herrlich, die Sonne auf der Haut zu spüren, ohne Schuhe am Strand entlang zu spazieren und sogar ein wenig im Wasser zu treiben, wobei es uns in Tiefe und Temperatur an eine Badewanne erinnerte.
Nichtsdestotrotz ist der Ort ziemlich verbaut und touristisch angepasst. Anfang Dezember war nicht viel los, was uns zuerst einmal freute, doch wir hatten nicht bedacht, dass wir somit die geballte Aufmerksamkeit vieler unterbeschäftigter Menschen bekommen würden, die ja auch in der Nebensaison über die Runden kommen müssen (Kaufen und Handeln).
Zudem rächte sich nun, dass ich eigentlich keine Ahnung hatte, was wir auf Bali machen sollten. Denn, wenn man nicht weiß, was man will, klingt so vieles so verlockend, lenkt einen hierhin und dorthin, nur nicht zu einem selbst. Daran den ganzen Tag freundlich, nein danke, nicht jetzt oder vielleicht morgen zu sagen, wenn uns Taxifahrten, Essen, Massagen oder sonstiges angeboten wurden, musste ich mich erst wieder gewöhnen.
Die Sache mit dem Geld
Nachdem wir unser erstes Geld abgehoben hatten, haben wir uns gefreut wie die Sonnenkönige: Endlich Millionäre! 100 Euro sind momentan 1,5 Millionen indonesische Rupien. Doch, wenn einem auf einmal die Millionen wie Sand durch die Finger rinnen, verkehrt sich das positive Gefühl ganz schnell ins Gegenteil. Yoeri meint dazu, dass dies der Fluch der Millionäre sein müsse, wenn man erst einmal eine hat, treibt einen die Angst, sie wieder zu verlieren, und der Wunsch nach mehr. Nebenher gilt es zu verhindern, etwas abgeben oder gar versteuern zu müssen. Arme Millionäre.
Ein paar Einkäufe hier, ein paar Anschaffungen da, dazu täglich mehrmals Essen und Getränke sowie Unterkunft, alles nicht so günstig, wie ich gehofft hatte, zumindest in Sanur. Unsere Reiseroute festzulegen, Transportmöglichkeiten auszuloten und Unterkünfte heraussuchen, alles brauchte seine Zeit. Die Millionen läpperten sich und rissen viel zu schnell bedrohliche Löcher ins Budget, wobei unser Konto nach dem Flug mit Übergepäck und allen anderen Reisekosten ohnehin nicht prall gefüllt war.
Sanur begann mir auf die Nerven zu gehen. Dann stellte sich zu allem Überfluss noch heraus, dass etwas mit unserem Visum falsch gelaufen war, was uns einen zusätzlichen Flug aus dem Land heraus kosten würde. Na dann prost Mahlzeit.
Der Zusammenbruch
Während sich der Mond auf der glatten Meeresoberfläche spiegelte und die Sterne verführerisch funkelten, lief ich an der Hand der Liebe meines Lebens unter duftenden Tempelbäumen am Strand entlang nach Hause. Doch statt vom Alkohol beschwingt zu sagen, wir schaffen das, denn wir schaffen alles, oder, wie schön, dass wir jetzt in genau diesem Moment zusammen an diesem Ort sind, oder ich liebe dich und gehe bis ans Ende der Welt mit dir, fing ich ganz plötzlich an, unkontrolliert zu weinen, um anschließend unterbrochen von Schluchzen meine Unzufriedenheit und Zweifel in die Welt hinauszuschreien. Sie waren auf dem besten Wege sich in handfeste Existenzängste zu verwandeln und damit konnte ich – sagen wir es mal im indonesischen Stil – weniger gut umgehen.
Ich kann mich dankenswerterweise nicht an die Details erinnern, Yoeri vielleicht, denn schließlich musste er mich nicht nur buchstäblich vom Boden auflesen, sondern dabei über sich ergehen lassen, was sich im Rausch dieser Gefühlswut einen Weg nach oben bahnte. Ungerecht, wie man in einer solchen Ausnahmesituation wird, gab ich natürlich im Wesentlichen ihm die Schuld daran, viel zu unvorbereitet hierher gekommen zu sein und sehr bald schon vollkommen pleite in Indonesien zu sitzen. Und dann was? Glücklicherweise blieb Yoeri gelassen, bis ich mich wieder im Griff hatte.
Man lebt, man lernt. Gerade beim Reisen oder auf anderen Wegen ins Ungewisse lernt man sich selbst und seinen Partner besser kennen. Manchmal eben auch ein wenig mehr, als einem lieb ist, und genau daran kann man wachsen. Angst ist in keinem Fall ein guter Berater und so arrangierten wir am nächsten Tag unseren Kurzurlaub. Geld hin oder her, wir wollten schließlich in guter Stimmung und mit einem Hauch Strandflair für unseren Traumjob vorsprechen.
Der Rest ist Geschichte
Als wir in Padang Bai ankamen und ein nettes Hostel gefunden hatten, fand ich zur Leichtigkeit des Seins zurück. Wir hatten das Glück eine sehr eindrückliche Zeremonie im Tempel Goa Lawah verfolgen zu können, wir erkundeten Strände, warfen uns in die Wellen, lachten über die vielen Boote, die aus unserer Perspektive einfach so im Fels verschwanden, genossen das gute günstige Essen, lächelten mit den Einheimischen um die Wette und probierten erste indonesische Worte aus. Selbst der konstante Lärm des Bootsterminals, der rund um die Uhr angefahren wird, hat uns diesen ersten Besuch in Padang Bai nicht verderben können.
Das Beste an Ubud war der Motorradausflug ins Umland, auch wenn wir uns ständig verfahren haben. Auf dem Rückweg vom Affenwald in Sangeh konnten wir uns zusehends besser orientieren und nahmen kleinere Straßen durch pittoreske Dörfer, bewunderten wunderschön geschwungene Reisterrassen, folgten Bachläufen und genossen unsere Freiheit.
Das Vorstellungsgespräch fand letztlich als gemeinsames Abendessen in einem vegetarischen Restaurant in Sanur statt. Wir waren einfach nur bezaubernd und flogen am nächsten Tag frohen Mutes nach Labuan Bajo auf Flores, um von dort den Komodo Nationalpark zu erkunden. Zu Yoeris Geburtstag sollten es Mantas und Drachen werden (Die Magie des Oktopus und die Faszination Manta). Diese grandiose Kombination mussten wir allerdings auf den ersten Weihnachtstag verlegen, da wir sofort erste Tauchkurse unterrichteten. Auch wenn es etwas länger dauerte, am Ende bekamen wir die Stelle, die wir von Anfang an gewollt hatten und blieben tatsächlich für drei Jahre dort (Unter Schutz stellen).
Immer wieder Bali
In der Wiederholung entfaltete sich eine ganz neue Kraft. Was uns an Sanur bei der Ankunft so gestört hatte, machte nach und nach seine Anziehungskraft aus. Nicht, dass wir länger als zwei bis drei Nächte dort verbringen wollten, aber es wurde zu einem willkommen Stopp auf dem Weg von Labuan Bajo oder Wakatobi nach Kuala Lumpur oder Singapur, wenn wieder neue oder andere Visa anstanden.
Die ersten Male weiterhin an der Bar am Strand mit den Cocktails, die mich nach der Ankunft an den Rand der Verzweiflung gebracht hatten, nach dem Tipp italienischer Kollegen dann auf einer Dachterrasse mit Wein denken wir immer wieder daran, wie alles begann und wie weit wir gekommen sind. Über die Jahre haben wir punktuelle Kurzurlaube eingestreut, um uns vom Leben auf einer Bilderbuchinsel zu erholen. Über diese verschiedenen Orte, Menschen und Blickwinkel haben wir immer mehr Teile der Insel ins Herz geschlossen, wie jetzt auch Amed.
Mein Stück des Himmels
Direkt international erreichbar, bot sich Bali nach kurzem Nachdenken geradezu als Winterasyl an und getaucht hatten wir hier bisher noch nicht. Das holen wir nun nach. Als Basis für unsere nächste Etappe hat uns Bali schon wieder beschenkt. Wir wohnen in einem kleinen Häuschen am Strand. Ich schaue nicht nur auf das Meer, ich höre es. Tag und Nacht, was die übrigen Geräusche der Nachbarschaft zumindest teilweise überdeckt. Ohnehin wache ich jetzt wieder mit der Sonne auf und mache Yoga (Im Rhythmus der Tropen).
Im Resort nebenan stehen Tanks für uns bereit und wir können von dort mit unserer Kameraausrüstung direkt zum Tauchen ins Wasser waten. Es ist ein Traum und gerade reicht mir dieses Stück des Himmels voll und ganz zum Leben. Wir wissen, wie glücklich wir uns schätzen können, dass wir die Freiheit haben zu reisen, und wir sind so dankbar, für alles, was wir bereits auf Bali und in Indonesien erleben durften. Indonesier ihrerseits können nicht so einfach Deutschland oder die Niederlande besuchen, wenn sie ihrerseits vor tropischer Hitze oder Horden von Reisenden flüchten wollen.
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