Gestern war Nyepi, der Balinesische Neujahrstag, der jedes Jahr im März am Tag nach Neumond in Stille begangen wird. Es ist der erste Tag des Balinesischen Mondphasen-Kalenders Saka, einer von zwei Kalendern, nach denen sich das Leben auf Bali zusätzlich zum Gregorianischen Kalender richtet. Die Regeln und Rituale folgen einem mehrtägigen Ablauf. Da in Zeiten von Covid-19 so viele Aspekte der Festlichkeiten zum Jahresausklang auf Bali nicht stattfinden durften, hilft es vielleicht wenigstens den „Tag der Stille” auf den 25. und 26. März 2020 auszudehnen und das Jahr mit doppelter Kraft zu begrüßen. Ganz nebenbei sind wir so alle ordentlich perfekt räumlich isoliert.

Melasti-Ritual

Drei Tage vor Nyepi finden die Melasti-Rituale statt. Dafür werden heilige Objekte aus den Tempeln geholt und in einer Prozession zur nächst gelegenen Wasserstelle gebracht, um dort gereinigt zu werden. Dies symbolisiert die Reinigung der Natur. Die teilnehmenden Menschen werden durch die Zeremonie von schlechtem Karma befreit, dass ebenfalls dem Wasser übergeben wird. Dieses Jahr war die Teilnehmerzahl auf maximal 25 Personen festgelegt. Ob sich die Menschen in Amed sowie dem Rest der Insel daran gehalten haben, weiß ich nicht, denn wir waren total folgsam allein Zuhaus.

Vorbereitungen

Den Tag vor Nyepi wird es normalerweise laut. Persönlich hatten wir das Gefühl, dass es bereits über Wochen jeden Tag ein bisschen lauter wurde. Teile der Gemeinden versammeln sich, um Ogoh-Ogoh zu basteln oder Musik einzustudieren. Auch die Anzahl der Menschen, die in unserer Nachbarschaft wohnten, stieg exponentiell an.

Vielleicht kamen nach und nach alle 13 Kinder, die teilweise bereits mit eigenen Kindern über Bali verstreut leben, zu dem Fischer nebenan nach Hause. In den letzten Tagen wurde gerne bereits vor 6 Uhr früh die Musik voll aufgedreht, was mir meinen Morgen ein Stückchen weniger himmlisch erscheinen ließ (Bali: Mein Stück des Himmels). So beschlossen wir dann auch, dass wir spätestens zwei Tage vor Nyepi umziehen müssten.

Ngrupuk-Umzug

Denn am Tag vor Nyepi finden normalerweise Ngrupuk-Umzüge mit Ogoh-Ogoh statt, wozu ab Mittags ganze Straßen gesperrt werden. Ogoh-Ogoh sind große gebastelte Puppen aus Bambus und Pappmaschee, die böse Geister und Dämonen darstellen (Bilder von kunstvollen Ogoh-Ogoh vergangener Jahre). Von bedrohlicher Garmelan Musik begleitet werden sie unter großem Getöse durch die Straßen getragen und mächtig geschüttelt, um alle bösen Geister aufzuscheuchen.

Dazu wird auch in allen Häusern gelärmt und auf der Straße getrommelt, getanzt und Fackeln entzündet. Die verwirrten Dämonen flüchten sich in die Ogoh-Ogoh, die im Verlauf der Umzüge zerstört und am Ende zeremoniell verbrannt werden. So soll das Verhältnis von Göttern, Menschen und der Natur wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.

Dieses Jahr wurden die Umzüge abgesagt. Traurig für die Balinesen, doch, um die Ausbreitung des Coronavirus unter der Bevölkerung zu verlangsamen, durchaus sinnvoll. In Deutschland und den Niederlanden erkrankten eine ganze Reihe Menschen nach gemeinsamen Karnevalsfeiern an Covid-19.

Nyepi, der Tag der Stille, auf Bali 2020

Es ist wirklich beeindruckend, dass alles stillsteht auf der Insel. Diese Ecke von Permuteran ist ohnehin sehr ländlich und ruhig, doch die jetzige Stille ist überwältigend. Wir passen uns an, reden nur leise, widmen uns ganz in Ruhe und mit voller Aufmerksamkeit den Dingen, die wir heute zu Hause machen wollen. Ganz entspannt, eins nach dem anderen.

Die äußere Stille wirkt sich direkt auf das eigene Innenleben aus. Die Zeit scheint langsamer zu vergehen, wenn die Welt um einen herum zur Ruhe kommt. Hier und jetzt verschmelzen zu einem Gefühl, dass alles genau richtig ist. Vielleicht, weil ich nirgendwo anders hin kann und daher keinen Druck habe, zumal es allen anderen auf Bali ganz genauso geht. Keine Hektik, keine Angst, etwas zu verpassen.

Zur Ruhe kommen

Natürlich ist es nicht so, dass kein Laut zu hören wäre. Viele Vögel zwitschern von den umliegenden Bäumen, manche kommen in unseren Garten. Hin und wieder kräht mal ein Hahn oder muht eine Kuh. Ganz selten bellt irgendwo ein Hund und selbst die Katze, die uns am vorherigen Tag besucht und uns durch Maunzen zum Kraulen animiert hat, lässt sich an diesen beiden Tagen nicht richtig blicken.

Was wir nicht hören, sind menschliche Tätigkeiten, wie Verkehr, sonstige Motoren- oder Baugeräusche oder auch nur laute Stimmen. Ich nutze meine Pausen vom Computer für Yoga mit Atemübungen und Meditation, schreibe ein wenig Tagebuch und lasse die Augen über die Landschaft wandern, die friedlich jenseits unserer Gartenmauer liegt. Es ist eine solche Wohltat, dass ich überlege, wo ich diese göttliche Stille sonst noch erleben könnte.

Unser temporäres Zuhause in Permuteran. Können noch weitere Menschen aufnehmen und trotzdem Distanz halten.

Unser Unterschlupf

Zum Glück funktioniert das Internet entgegen der Ankündigung doch die meiste Zeit über, so dass wir die Abgeschiedenheit genießen können, ohne uns abgeschnitten zu fühlen. Wir haben uns sehr bewusst ein Haus ausgesucht, in dem es sich gut aushalten lässt. Für 6-8 Personen ausgelegt, haben wir reichlich Platz und auch wenn wir an Nyepi nicht in den Garten gehen, können wir den Blick und die Brise genießen, denn die Küche mit Ess- und Wohnbereich bildet den Mittelteil des Hauses und ist nach vorne offen. So können wir auf einer breiten Veranda sitzen und die Außenwelt genießen, ohne die Regeln zu verletzen.

Regeln für Nyepi

Das Wort Nyepi bedeutet „nicht sprechen”. Es ist ein Tag des Fastens und der Meditation. Der höchste hinduistische Feiertag gilt in ganz Indonesien, wobei er neben Bali nur an den Orten mit größerer hinduistischer Minderheit, wie Ostjava und Westlombok, gefeiert wird. Nyepi beginnt am Morgen um 6 Uhr und dauert normalerweise 24 Stunden.

Am zweiten Tag hören wir morgens vereinzelte Motorräder oder Autos, doch im Laufe des Vormittags legt sich die Stille wieder wie ein schützender Mantel über die Insel. Der gläubige Balinese verbringt den Tag in absoluter Stille und meditiert. Es gibt, auch Zuhause, keine Vergnügungen jeglicher Art. Die Fernseh- und Radiostationen werden abgestellt. Es darf nicht gearbeitet werden und keiner darf das Haus verlassen. Es soll kein Feuer oder Licht angezündet werden.

Auch für Ausländer

Ibu Ketut erklärte uns, dass es reiche die Fenster abzuhängen oder in unserem Fall abends die Bastrollos runter zulassen, so dass kein Licht nach draußen dringt. Kochen durften wir trotzdem. Ansonsten heißt es im Haus bleiben. Auf den Straßen sind nur Krankenwagen erlaubt und lokale Wächter überprüfen, dass das Ausgehverbot auch von der Jugend und den Touristen eingehalten wird.

Es gibt keinen Flug, keine Fähre, keinen Bus oder sonstige Transportmittel. Alle Zeichen des täglichen Lebens kommen zur Ruhe, um zum Jahresbeginn Reinheit und Gleichgewicht herzustellen. Mit Hilfe der Selbstkontrolle kann die spirituelle Reinheit gefördert werden. Zugleich soll die Stille und Dunkelheit den aufgescheuchten bösen Geistern und Dämonen vortäuschen, dass die Insel verlassen sei, so dass sie sich woanders niederlassen.

Nyepi, der Tag der Stille, auf Bali 2020 gleich doppelt

Am Tag nach Nyepi (Ngembak Geni) besuchen sich die Balinesen normalerweise gegenseitig, um einander um Vergebung zu bitten und so vollkommen gereinigt ins neue Jahr zu starten. Das Leben nimmt wieder seinen Gang, wobei gläubige Hindus auch die Tage danach mit dem Studium der alten Schriften, mit Gesängen und Gebeten verbringen.

Ich nehme das zum Anlass, um nun noch eine Runde Atemübungen einzustreuen und weitere Techniken zu nachzuschlagen (Alles Yoga oder was?). Auch wenn ich niemanden besuchen kann, stehen noch eine Reihe Anrufe und vielleicht auch die ein oder andere Entschuldigung an.

Hin und wieder das eigene Verhalten zu reflektieren, kann der persönlichen Weiterentwicklung nur gut tun. Ich kann durchaus verstehen, dass feste Tage dabei helfen, solange die Inhalte der Rituale wirklich gelebt werden.

Mit Blick nach draußen: So lässt sich Nyepi, der Tag der Stille, auf Bali 2020 auch zwei Tage lang überstehen.

Covid-19 im Jahr 2020

Manchmal kommt es eben anders. Die gegenseitigen Besuche und Entschuldigungen müssen wenigstens einen Tag länger warten und vorsichtige Balinesen werden wohl eher auf moderne Kommunikationsmittel ausweichen. Die offiziellen Zahlen der Menschen, die auf Bali am Coronavirus erkrankt sind, liegen zwar noch immer niedrig (Deutsche auf Bali: Zum Coronavirus in Indonesien). Doch mangelt es an Tests und nicht alle Menschen können sich einen Arztbesuch leisten. Einen oder auch zwei Tage in Ruhe und Kontemplation Zuhause zu verbringen, tut wirklich gut. Doch wochenlang möchte ich nicht drinnen bleiben.

Quo vadis corona?

In Deutschland lässt eine Reihe von Bundesländern seine Bürger, jenseits der Arbeit, nur noch mit triftigem Grund vor die Tür (guter Kommentar in der taz zur Absurdität der Abstandsregeln im persönlichen Leben für Menschen, die am Arbeitsplatz nicht geschützt werden). Energie in der Sonne tanken oder die Natur genießen, gehören leider wohl nicht dazu. Mir tun all die Menschen leid, die nicht einmal einen Balkon haben, auf den sie sich flüchten können. Wir hoffen sehr, dass dies auf Bali nach dem doppelten Nyepi anders gehandhabt wird, werden aber sicherheitshalber unsere weiteren Wohnorte an den Kriterien Internet, Küche und Garten ausrichten. Menschen gehen wir ohnehin gerne aus dem Weg (Leben unter Corona: Regeln und Realität auf Bali).

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