Von dem Film „Pulp Fiction“ in Selbstliebe geschult? Genauso wie kleine, unbedachte Äußerungen eine ganze Welt einstürzen lassen können, können kleine, wohlgeformte Dialoge eine ganz Neue erschaffen. Wie etwas auf uns wirkt und was es in uns auslöst, ist individuell höchst verschieden. Zugegebenermaßen war – und ist – es ein langer Weg bis zur Selbstliebe. Kein noch so großer Aha-Moment kann den Prozess ersetzen. Doch Selbstakzeptanz und Unabhängigkeit von den Vorstellungen anderer als Grundlage für Selbstliebe wird für mich durch einen Dialog in „Pulp Fiction“ versinnbildlicht. Noch heute erinnere ich an diese Worte, wenn andere Urteile über mich fällen.

Verzehrtes Selbstbild

Ich war eine Spätentwicklerin, nicht im Geiste, sondern was meine körperliche Entwicklung anbelangte. Lange sah ich noch sehr kindlich aus. Erst mit 14 Jahren bekam ich meine ersten Blutungen und damit einen Hormonschub, der in kürzester Zeit dafür sorgte, dass meine durchgescheuerten Jeanshosen aus den Nähten platzen. Da Löcher zu der Zeit gerade angesagt waren, nähte ich einfach bunten Stoff dahinter und war mit mir zufrieden.

Obwohl, so ganz zufrieden war ich eigentlich nie. Es gab immer etwas, was noch nicht in Ordnung war. Ich fand, dass meine Haare zu dünn waren, meine Gesichtshaut zu unrein und ich sowieso viel zu blass. Das musste mir niemand direkt sagen, es schrie mich förmlich aus allen Sendungen, Zeitschriften und Magazinen an. Hin und wieder bekam ich, wie wohl jede*r von uns, die volle Breitseite an Bewertung zu spüren. So sagte eine Schulfreundin einmal, dass es gut sei, dass ich jetzt einen Nasenring hätte, denn ansonsten sei meine Nase, um nicht zu sagen mein Gesicht, ja total langweilig.

Zu dünn, zu dick

Es fing schon früher an. Ich weiß noch, wie ich mit 12 Jahren oder so auf einer Bank saß und auf meine Oberschenkel herabschaute, die sich in die Breite drückten. Damals war mir Thigh Gap kein Begriff, erst vor ein paar Jahren haben ich ihn mir wie Camel Toe von Yoeri erklären lassen. Das Absurde daran, wahrscheinlich hatte ich damals sogar diese Lücke zwischen den Oberschenkeln, denn die Hormone hatten noch nicht zugeschlagen und meinen Körper verändert. Außerdem trieb ich Sport und aß vergleichsweise wenig, wie ich in Gesprächen mit Gleichaltrigen feststellte.

Nach und nach entwickelte ich mehr Appetit. Obwohl ich weiterhin schlank blieb, wurde ich nun nicht mehr darauf angesprochen, wie dünn ich denn sei. Das war ungewohnt, doch völlig in Ordnung. Ich hatte auch zuvor nicht um die Meinungen anderer gebeten. Allerdings, wenn ich eine richtige Mahlzeit zu mir nahm, wölbte sich mein Bauch nach außen, als wollte er der Nahrung extra viel Platz einräumen. Wenn ich mich in solchen Momenten im Spiegel betrachtete, nagten heftige Zweifel an mir.

Von Pulp Fiction zur Selbstliebe

Mit 15 schaute ich „Pulp Fiction“ alleine auf Deutsch im Zimmer meines Bruders (Im Paradies verloren). Die Erzählstruktur und die Charaktere haben mich extrem gefesselt, obwohl es durchaus verstörende Episoden gab. Da der Film von Quentin Tarantino kaum weiter vorgestellt werden muss springen wir gleich in die Szene, die meinem Blick auf mich selbst für immer gewandelt hat. Wir sind mit Butch, dem Boxer, und seiner französischen Freundin Fabienne im Hotelzimmer. Leider konnte ich die Szene nur auf Englisch finden. Here we go:

Fabienne: I was looking at myself in the mirror.
Butch: Uh-huh?
Fabienne: I wish I had a pot.
Butch: You were lookin‘ in the mirror and you wish you had some pot?
Fabienne: A pot. A pot belly. Pot bellies are sexy.
Butch: Well you should be happy, ‚cause you do.
Fabienne: Shut up, Fatso! I don’t have a pot! I have a bit of a tummy, like Madonna when she did „Lucky Star,“ it’s not the same thing.
Butch: I didn’t realize there was a difference between a tummy and a pot belly.
Fabienne: The difference is huge.
Butch: You want me to have a pot?
Fabienne: No. Pot bellies make a man look either oafish, or like a gorilla. But on a woman, a pot belly is very sexy. The rest of you is normal. Normal face, normal legs, normal hips, normal ass, but with a big, perfectly round pot belly. If I had one, I’d wear a tee-shirt two sizes too small to accentuate it.
Butch: You think guys would find that attractive?
Fabienne: I don’t give a damn what men find attractive. It’s unfortunate what we find pleasing to the touch and pleasing to the eye is seldom the same.

Quotes Pulp Fiction 1994

Kurze Zusammenfassung: Fabienne hätte gerne einen Kugelbauch, was ganz und gar nicht das Gleiche ist wie ein Bäuchlein. Bei Männern sähe dies nicht gut aus, aber bei Frauen. Dabei ist es ihr egal, ob Männern sie damit attraktiv finden würden!

Wie Pulp Fiction meine Selbstliebe entfachte - Screenshot aus dem Film von Quentin Tarantino, der Fabienne mit Butch auf dem Bett im Hotelzimmer zeigt
Auch wenn Fabienne selbst mit sich unzufrieden war, hat ihre Sicht in „Pulp Fiction“ meine Selbstliebe entfacht, zumal es ihr egal war, was die Männer von einem Kugelbauch hielten. Sie wollte ihn, weil sie selbst ihn sexy fand! (Danke für das Bild)

Ein Kugelbauch konnte sexy sein? Eine der attraktiven und charismatischen Frauencharaktere in Tarantinos Geschichte sehnte sich danach, so wie ich mich nach ihrem dichten Haar und ihrer ebenmäßigen Haut sehnte? Das hat mir eine neue Welt eröffnet und dem Sprichwort, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt, eine ganz andere Tiefe gegeben. Wenn es keine objektive Schönheit gibt, muss ich mich auch nicht zwanghaft in ein Ideal pressen. Seitdem ist vieles leichter geworden. Natürlich bin ich nicht vollkommen frei von (Selbst)bewertungen, aber ich bin offen für die vielfältige Schönheit der Menschen, stelle Ausstrahlung über Aussehen. Ausstrahlung entsteht für mich, wenn die innere Schönheit von Seele und Geist die Äußere des Körpers zum Strahlen bringen.

Neues Selbstbewusstsein

Natürlich haben im Laufe der Jahre viele Erlebnisse dazu beigetragen, dass ich mich immer besser kennen und lieben lerne. Doch „Pulp Fiction“ rettet noch heute immer wieder zuverlässig meine Laune. Erst vor zwei Wochen wurde ich das letzte Mal gefragt, ob ich schwanger sei. Die negative Antwort wollte er nicht recht gelten lassen. Je nachdem, wo ich lebe, passiert das mal mehr mal weniger häufig. Alternativ wurde hinter meinem Rücken darüber getuschelt, wie ich in meinem Zustand noch Alkohol trinken könnte. Einmal erklärte mir eine Verkäuferin, dass ich besser kein Lakritz essen sollte.

Die meisten sind peinlich berührt, wenn ich erkläre, dass ich gar nicht schwanger bin, sondern einfach einen Kugelbauch habe. Dabei nehme ich es gelassen und stelle mir vor, wie gerne Fabienne über meinen Bauch streicheln würde oder ich lasse es einfach Yoeri an ihrer Stelle tun. Wenn mir danach ist, ziehe ich hautenge Oberteile an. Hin und wieder reibe ich den Kugelbauch, um mir selbst Glück zu wünschen. Ohne „Pulp Fiction“, da bin ich mir sicher, hätte ich niemals diese Leichtigkeit entwickelt, den meinen Körper so sehr zu lieben, wie er ist, ganz egal, was andere um mich herum denken oder sagen.

Nicola Jaeger, eine blonde Frau Anfang Dreißig mit Nasenring, Armreif und Kette steht in einem gebundenen Kleid neben dem Fenster und lacht. Die linke Hand liegt in der rechten vor ihrem Bauch. Berlin, 2011.
Nachdem ich dieses Foto als Profilbild eingesetzt hatte, fragten mich so viele Leute, ob ich schwanger sei, dass mir unheimlich wurde. Anscheinend ist diese Geste, die ich nach meiner Rückkehr von den Philippinen einfach bequem fand, das geheime Zeichen für Schwangerschaft …

Trotzdem freue ich mich zu hören, was du denkst? Wer hat dich inspiriert, dich selbst anders wahrzunehmen oder zu zeigen?

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