In den neun ersten Tagen in unserer Lockdown-Unterkunft waren wir nur einmal am Geldautomaten und anschließend einkaufen. Doch wenigstens für eine kurze Zeit wollen wir uns frei fühlen, uns richtig bewegen. Keine Sorge, wir werden niemandem zu nahe treten, wir bleiben für uns, halten Abstand. Nicht ohne Grund haben wir uns für dieses Ende des Dorfes entschieden und so begegnen wir auf dem Pfad Richtung Meer nur einem anderen Menschen. Wir grüßen uns, eigentlich ist alles wie immer, entspannt und freundlich.

Endlich wieder im Wasser

Die Sonne steht hoch am Himmel über Bali und hat den dunklen Sand bereits über Stunden erhitzt. Der Strand von Pemuteran ist offiziell Sperrzone, das Meer jedoch nicht. Schnell streifen wir unsere Kleider ab, hängen sie an einen der Bäume und hüpfen über den heißen Sand ins rettende Nass. Warmes, klares Wasser empfängt uns und umschmeichelt unsere Haut wie Seide. Ich stoße einen Seufzer aus und lasse mich auf dem Rücken treiben.

Endlich wieder schwerelos, endlich wieder in die Weite blicken. Nach und nach taucht die gesamte Hügelkette hinter den Palmen und Bäumen, die diesen Abschnitt des Strandes säumen, auf. Auf den unteren Hängen dominieren Wiesen, anschließend wird der Wald immer dichter, bis sich die Gipfel in den Wolken verlieren. Dahinter beginnt der „West Bali National Park”.

Langsam und genüsslich paddeln wir hinaus ins offene Meer. Das leuchtende Türkis in den flachen und sandigen Abschnitten wandelt sich dort, wo der Meeresboden langsam abfällt, in ein sattes Himmelblau, um schließlich in der Ferne in einem tiefen Dunkelblau zu versinken. Mit jedem Schwimmzug vom Ufer weg spüre ich wie die Ungewissheit der letzten Wochen langsam von mir abfällt und von den winzigen Wellen davongetragen wird. Wir sind sicher. Wir haben es gut.

Dunkle Wolken am Horizont

Das erleben viele Menschen auf Bali anders. 80 Prozent der Wirtschaft der Insel hängt direkt oder indirekt am Tourismus. Die Masse hat Bali verlassen, Deutsche wurden sogar evakuiert. Viel staatliche Unterstützung erfährt die Bevölkerung, deren Einkommensquellen nun auf unbestimmte Zeit weggebrochen sind, bisher nicht. Zahlungen für Kredite wurden auf das nächste Jahr verschoben, ein Teil der Steuern wurde erlassen und die Ärmsten der Armen können Hilfe für ihre Stromrechnung beantragen. Zudem sollen Grundnahrungsmittel im Preis gestützt werden.

Doch das alles bringt kein Essen auf den Tisch. Daher fahren momentan mehr Boote als sonst raus zum Fischen. Der Geldfluss, der staatliche und private Schutzzonen und Rangerprogramme aufrecht hält, ist fürs Erste versiegt. Jetzt, da niemand so genau hinschaut, grasen die großen Trawler und Fischfabriken anderer Nationen die weiter draußen gelegenen Gründe ab. Leider können die Ozeane dank Corona nicht so wie wir einfach mal tief durchatmen und eine Runde verschnaufen.

Zurück im Meer

Die Bucht von Pemuteran beschreibt einen weiten Bogen von Ost nach West. Yoeri macht sich startklar, um dem leicht abfallenden Sandhang mit vereinzelten Korallenblöcken folgend Richtung Westen zu schwimmen, denn der eigentlich Ort liegt im Osten. Hier stehen entlang der Küste nur ein paar vereinzelte Häuser. Niemand ist auf dem Strand. Auch die zwei kleinen Hügel, deren flacher Strauchbewuchs eher an Savanne als Tropen erinnert, dürfen momentan nicht betreten werden. Wahrscheinlich kann man von dort den Sonnenuntergang genießen. Da mich die Strömung in die Richtung von drei Schnorchlern treibt, schwimme auch ich ein wenig. Allerdings habe ich meine Maske nicht mitgebracht, so dass meine Augen einer kurzen Einlage zum Brustschwimmen zu brennen beginnen.

Alles, was ich möchte, ist ohnehin, im Wasser zu treiben und die Aussicht zu genießen. Eine leichte Übung, denn mein Körper hat im Gegensatz zu Yoeris positiven Auftrieb und solange ich noch ein wenig Restluft in den Lungen behalte, kann ich auch ohne Tauchanzug stundenlang im Meer treiben. Theoretisch zumindest. Praktisch würde ich relativ schnell auskühlen und gleichzeitig meine Haut, insbesondere die Lippen, schrecklich verbrennen. Jetzt zaubern mir die warmen Sonnenstrahlen ein Lächeln ins Gesicht. Voller Energie versuche ich es mit Rückenschwimmen, schaffe es aber nicht, eine Linie zu halten und frage mich außerdem, wie genau der Kraulschlag eigentlich ausgeführt wird.

Nach Gefühl: Bewegung im Wasser

Da ich Tauchlehrerin bin, könnte die Vermutung nahe liegen, ich wäre auch eine begnadete Schwimmerin. Dem ist nicht so. Wenn man erst einmal seine Tarierweste mit dem Presslufttank darin auf dem Rücken hat, wedelt man nicht mehr mit seinen Armen rum. An der Wasseroberfläche sorgen gleichmäßige Flossenschläge aus der Hüften für den notwendigen Vortrieb, sowohl in Bauch- als auch Rückenlage, was viel effektiver und energiesparender ist. Die Arme halte ich dabei, genauso wie beim Tauchen selbst, schön nah am Körper, um so stromlinienförmig wie möglich zu sein. Vorwärts, rückwärts, seitwärts, drehen, alles läuft über die Stellung und Bewegung der Flossen sowie der Haltung des Körpers insgesamt. Kombiniert mit dem Atem und der Menge der Luft in der Tarierweste entfaltet Tauchen so seine Magie der Freiheit und Schwerelosigkeit. Sehr spielerisch, denn alles geht nach Gefühl (Warum ich tauchen liebe).

Ohne Flossen fühle ich mich gehandicapt, mein Beinschlag hat kaum einen Effekt. Beim Schwimmen geht viel Kraft von der Armbewegung aus. Im Brustschwimmen kann ich mein Tempo ohne Probleme über längere Zeit halten. Trotzdem schwimme ich eigentlich nie, sondern gehe lieber laufen. Ich mag es, meinen eigenen Rhythmus zu finden, abzuschalten, auf andere Gedanken zu kommen oder auch die Umgebung ganz besonders bewusst wahrzunehmen. Die Luft nicht nur atmen, sondern den Duft des Waldes, die Farben der Felder oder die Wärme des Strandes in mich aufnehmen. In Pemuteran hatte ich gerade wieder zu laufen begonnen, als die Ausgangssperren verhängt wurden (Warum auf Bali das Toilettenpapier nicht knapp wird).

Im Wasser neue Wege beschreiten

Von jetzt an laufen wir jeden zweiten Tag mit unseren Masken zum Strand. Die Zeit ist reif, um im Wasser neue Wege zu beschreiten. Schließlich habe ich jetzt Zeit, um regelmäßig den Schwimmstil zu üben, den ich über Jahre vernachlässigt habe: Kraulen. Ich habe mich als Brustschwimmerin gut über Wasser gehalten und damit selbst im Schwimmtest für meinen Divemaster nicht schlecht abgeschnitten. Doch nun möchte ich ein Gefühl für die Bewegung entwickeln und darin aufgehen. Das ist, was ich am Tauchen so liebe. Ich nehme mich und meine Umgebung ganz besonders intensiv wahr und erreiche gleichzeitig eine Art meditativen Zustand. Ich bin in meinem Element und lerne mit jedem Tauchgang dazu.

Yoeri gibt mir noch den Tipp, nicht direkt mit der Ausatmung zu beginnen, wenn der Kopf wieder im Wasser liegt, bevor er in seinem Tempo von dannen krault. Genau dies ist der Schlüssel, denke ich, ich muss meinen eigenen Rhythmus finden – im Zusammenspiel von Atmung und Bewegung, genauso wie beim Tauchen oder beim Yoga. Nur so kann ich das Kraulen für eine längere Zeit durchhalten. Bisher legte ich immer hoch motiviert los und nach kurzer Zeit ging mir die Puste aus. Obwohl ich es besser weiß, passiert es wieder. Zum Glück sind die Möglichkeiten der digitalen Fortbildung fast so grenzenlos wie der Ozean.

Beim dritten Mal klappt es schon besser und beim vierten Mal kraule ich zwar noch keine langen Strecken, aber wechsle ohne große Unterbrechung von einem Schwimmstil in den nächsten. Beim fünften Mal geht erst alles schief, steigert sich dann beachtlich, um in einem atemberaubenden Rückenfinale zu enden. So langsam kann ich es fühlen. Glücklich treibe ich im Wasser.

Vom Schwimmen zum Tauchen: Hauptsache Natur

Die Fortschritte beflügeln. Doch das Schönste an unserer neu entwickelten Routine ist, dass wir draußen und in der Natur sind. Eine Qualle, vielleicht zehn Zentimeter groß, kreuzt meinen Weg. Rhythmisch zieht sie ihren Schirm zusammen, um sich mit dem erzeugten Rückstoß nach vorne zu bringen. Dabei vibrieren ihre acht Tentakel, die nicht langgezogen sind, sondern eher wie weiche Brokkoliröschen aussehen. Der Wind kräuselt die Wasseroberfläche leicht, so dass die senkrecht einfallenden Sonnenstrahlen geometrische Muster auf den Meeresgrund zeichnen. Die meisten Korallenblöcke haben ihre besten Tage leider hinter sich, aber es wuseln noch einige Rifffische umher. Im Sand entdecke ich ein paar Seenadeln. Es wird sich mit Sicherheit noch das ein oder andere Kleinstlebewesen finden lassen, wenn ja wenn wir erst wieder tauchen gehen dürfen (Muck diving: Schätze in Schlamm und Müll).

Auch wenn mir Schwimmen große Freude bereitet, hoffe ich, dass die Vorschriften auf Bali ab nächster Woche nach und nach gelockert werden. Es gibt zwei Projekte, die sich der Wiederherstellung der Korallenriffe in der Umgebung widmen, die wir näher kennenlernen und vielleicht hier vorstellen möchten. Außerdem hat letztes Jahr das Jakarta Animal Aid Network in Zusammenarbeit mit dem Ric O’Barry’s Dolphin Project vier Delfine aus einem Hotel in Lovina gerettet. Ein Delfin ist leider im März an den Folgen der schlechten Haltung im gechlorten Pool der Hotelanlage gestorben, der zweite hat keine Zähne mehr, doch die beiden weiteren werden in einem neu errichteten Schutzgehege in der Nähe von Pemuteran auf ihre Wiederauswilderung vorbereitet (mehr Info zu ihnen allen sowie die Möglichkeit zu spenden hier). Noch so viel zu entdecken und erzählen.

View onto the ocean with light ripples of the wind - long exposure

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