Wenn wir keine Zeit haben, um mit Smokey zum Strand zu fahren, erkunden wir auf unseren Spaziergängen die Nachbarschaft. Eine Route führt durch ein Neubaugebiet in ein kleines Wäldchen. Dort schlagen wir einen Bogen, um zu einer Lichtung zu gelangen, von wo aus uns Smokey über Trampelpfade von Ziegen und Kühen wieder zielsicher nach Hause führt (And then along comes Smokey). Warum das Gelände gerodet wurde, ist mir schleierhaft. Doch wenigstens haben ein paar große Tamarindenbäume den Kahlschlag überlebt. Den Rest überwuchert Coralita.
Was bleibt, ist Plastik
Die invasive Kletterpflanze wurde aus Mexiko eingeführt um Zäune zum Blühen zu bringen. Antigonon leptopus wächst schnell, sehr schnell und verdrängt dadurch einheimische Pflanzenarten. Laut einer Studie hatte Coralita 2021 bereits zwischen 15 und 33 Prozent der Insel im Griff. Freilaufende Ziegen fressen die Pflanze nur, wenn ihnen keine andere Futterquellen zur Verfügung stehen. Kühe und Schafe haben ebenfalls andere Vorlieben.
Ein Risiko, dass alle freilaufenden Tiere tragen, offenbart eine Kuh, die sich letztes Jahr zum Sterben unter einen dieser Tamarindenbäume gelegt hat. Viele Plastiktüten verknoten kleinere Abfallteilchen zu einem Plastikklumpen, der zwischen den bleichen Rippenknochen überdauert. Ob die Kuh daran gestorben ist, weiß ich nicht. Gesund kann es weder für das Tier noch die Konsumenten sein, wenn sich die freilaufendes Vieh den Bauch mit Müll vollschlägt (Vögel und Meeresbewohner sterben an der Plastikflut). Uns begegnen jedenfalls immer wieder Kadaver, auch von Ziegen, die nach einer Zeit den unverdauten Plastikabfall preisgeben.
Insel der Ziegen: Freilaufendes Vieh auf Statia
Auf Sint Maarten wird Statia Insel der Ziegen genannt. Das Fleisch soll herausragend sein. Sorry, das habe ich als Vegetarierin nicht überprüft. Keine Sorge, ich will jetzt nicht über Ernährung predigen. Ich frage mich mich nur, ob es nicht besser wäre, die eigenen Tiere hinter Schloss und Riegel zu halten, um zu wissen, wo sie sind, wie es ihnen geht und was sie fressen? Um gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, könnte man sie dann wenigstens zum Teil mit Coralita füttern.
Jenseits der blühenden Coralitafelder wirkt Statia im Vergleich zu unserem Aufenthalt vor neun Jahren zu weiten Teilen nicht nur abgefressen sondern regelrecht kahl geschoren. Die Wirbelstürme Irma und Maria haben sicher ihren Teil dazu beigetragen. Bäume und Büsche leisten eine wichtige Arbeit, indem ihre Wurzeln den Grund stabilisieren und damit anderen Pflanzenarten sowie Tieren einen Lebensraum eröffnen. Geht dieser Schutz einmal verloren, kann sich das Land unter Umständen nicht mehr eigenständig regenerieren. Vor allem dann, wenn es laufend hungrigen Mäulern und harten Hufen ausgesetzt wird.
Wohin gehen sie?
Eine wissenschaftliche Studie bestätigt unseren Eindruck. Laut der Untersuchung von Hannah Madden hat die Dichte von Ziegen und Schafen seit 2013 signifikant zugenommen. Demnach zogen 2020 in etwa 6.000 bis 9.000 Ziegen und 2.200 bis 6.500 Schafe über die Insel. Obwohl bereits diese Anzahl für Statia als langfristig nicht tragfähig gilt, vermehren sich diese Tiere, genauso wie die Kühe, seitdem munter weiter.
Um sich vorzustellen, wohin das führen wird, lohnt sich ein Blick auf andere Inseln. So haben Ziegen und Ratten Redonda Island (Antigua) in einen kargen Felsen verwandelt. Auf den Galapagos-Inseln Pinta, Santiago und Isabella drohten in den 1990er Jahren unter anderem die einzigartigen Landschildkröten marodierenden Ziegen, Eseln und Schweinen zum Opfer zu fallen. Gemeinsam zerstörten sie den Wald an den Vulkanhängen, so dass die Schildkröten in den Trockenzeit keinen Schatten und kein Wasser mehr fanden. Der Hawaii Volcano National Park litt bereits in den 1970er Jahren massiv unter ca. 15.000 Ziegen, die das Gelände so weit destabilisierten und degradierten, dass mehrere einheimische Pflanzenarten komplett ausrottetet wurden und sich Unfälle häuften.
Mehr als einen Plan haben
Diese Inseln zeigen aber noch mehr. Sie alle haben sich gewandelt. Es wurden nicht nur Pläne entwickelt, sondern auch Maßnahmen ergriffen, um die Tiere entweder komplett auszurotten oder massiv zu dezimieren. Auf Redonda stieg die Anzahl der Pflanzenarten von 17 im Jahr 2012 auf fast 90 nur fünf Jahre später. Dank Project Isabella Plan wurde 2006 die letzte der Galapagos-Inseln von Ziegen befreit. Nach großen organisierten Abschussaktionen dürfen die Einwohner auf Hawaii die noch verbleibenden Ziegen für den Eigenbedarf jagen. Hoffentlich schlagen sie sich dort den Bauch nicht mit Plastikmüll voll.
Ich verstehe, dass die Ausgangslage auf Statia eine andere ist. Anscheinend gehören die Tiere jemandem. Gilt auf Statia ebenfalls der Grundsatz, dass Eigentum verpflichtet? Ob es um Müll oder freilaufende Tiere geht, am Ende ist es sowohl eine Frage der Verantwortung als auch des Respekts. Respekt vor den Tieren, der Umwelt, den Mitmenschen und der Insel, die doch auch Kindern und Enkeln noch eine Heimat bieten soll. Oder wohin gehen sie?
Die niederländische Version der Geschichte ist als „Bericht uit Sint Eustatius“ auf Dossier Koninkrijksrelaties erschienen.
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