Heute ist ein ganz besonderer Tag. Wir erwarten einen neuen Menschen unter uns: Matteo Josef. Während eine stolze Halbschwester und Oma vor dem OP mit den Füßen scharren, lassen meine Mutter und ich unsere Handys nicht aus den Augen. Darf man aus dem OP überhaupt texten? Kaum zu glauben, dass auch ich Matteo schon heute Nachmittag kennenlernen werde.
Ich habe noch nie ein so junges Menschlein gesehen, geschweige denn auf dem Arm gehalten. Normalerweise ist mein Interesse an Babys relativ gering, um nicht zu sagen nicht-existent. Erst wenn Kinder laufen und sprechen lernen, werden sie meiner Meinung nach interessant und das auch nicht zwangsläufig. Aber nun werde ich doch noch Tante, was außer Schwester eigentlich die bestmögliche Familienrolle ist, und bin bereit eine Ausnahme zu machen.
Zumal ich gefragt worden bin, ob ich Patentante werden möchte. Das ehrt mich natürlich, auch wenn es offiziell nicht Taufpatin heißen wird, da ich vor 20 Jahren aus der Kirche ausgetreten bin, sondern Taufzeugin. Ich denke jedoch, dass mein Bruder mich Matteo gegenüber nicht als Zeugetante vorstellen wird, denn das könnte doch zu Verwirrung führen, sobald die Sache mit den Bienchen und Blümchen hinlänglich erklärt ist.
Für den katholischen Glaubensweg gibt es glücklicherweise eine polnische Großtante, so dass ich mich auf Spiritualität und weltliche Dinge im Allgemeinen konzentrieren kann. Punkt Nummer eins: Verbindung zur Familie. Punkt Nummer zwei: Verbindung zur Natur – und dabei natürlich speziell zum Meer.
Als meine Vorfreude so langsam in Nervosität umzuschlagen beginnt, erhalten wir die erlösende Nachricht und gleich das erste Foto, worauf meine Mutter und ich uns weinend in den Armen liegen. Gesund und tiefenentspannt, wurde Matteo um 09.37 von glücklichen Eltern in Empfang genommen, die ihn von nun an liebevoll mit der Welt bekannt machen.
Mittlerweile sind die Tränen versiegt, die Willkommenskarte ist geschrieben und ich warte zusammen mit dem Oktopus ungeduldig auf weitere Bilder, die ich postwendend an Familienmitglieder in Kanada, Neuseeland und den Niederlanden weiterleite. Ich hätte mich als Kind total gefreut, eine so internationale Familie zu haben. Genauso, wie ich mich auch jetzt darüber freue, insbesondere da die Familie in diesem und den kommenden Jahren offiziell sprunghaft anwächst. Und heutzutage kann man die ausgewanderten Familienmitglieder sehr viel einfacher besuchen oder die sich einen Heimatbesuch leisten.
Doch zurück zur Sache: Nun ist meine Mutter doch tatsächlich noch Großmutter geworden. Während einige Paare in ihrem Freundeskreis bereits das dritte bis siebte Enkelkind erwarteten, von denen bei jedem Treffen ausführlich berichtet wird und dazu Fotos die Runde machen, tat sich in dieser Hinsicht bei meinen Brüdern und mir gar nichts. Sie hatte sich bereits achselzuckend damit zufrieden gegeben, dass immerhin jeder von uns, auf seine ganz eigene Art, ein zufriedenes Leben führte und nach und nach einen dazu passenden Partner fand. Dann rubbelte sie ihr Glückslos frei und brach bei der Nachricht „Du wirst Oma” in kindliche Freude aus.
Da wir aus gegebenem Anlass dieses Jahr länger als geplant in Deutschland geblieben sind, hatte ich ausreichend Zeit, meine Mutter mit den entscheidenden Funktionen ihres Smartphones vertraut zu machen. Im Büro hat sie bereits die ersten Bilder aus dem Krankenhaus vorgeführt. Ihre Freunde können sich jetzt auf was gefasst machen, nur öffentlich werden wir die Babyfotos – egal, wie süß sie auch sind – nicht teilen. Die Zeit scheint heute nicht zu vergehen.
Im Übrigen habe ich bereits ein heimliches Patenkind, denn hier weiß die katholische Kirche noch nicht einmal etwas von meiner Rolle als Zeugin. Ich schicke ihr seit acht Jahren Postkarten aus aller Welt, um irgendwie Präsenz zu zeigen. Meine Geschenke bestanden bisher im Wesentlichen aus gemeinsamen Unternehmungen und Büchern, wobei sie lieber Hörspiele hört, wie ich dieses Jahr, das uns ebenfalls Gelegenheit bot, ein wenig Zeit miteinander zu verbringen, gelernt habe.
Leider konnten wir nicht in den Kletterwald, da es an dem mühsam vereinbarten Termin regnete. Jetzt bekommt sie zum Ausgleich eine Weltkarte für ihr neues Zuhause. Das faszinierende ist, dass sie nicht nur gerne klettert, sondern auch eine echte Wasserratte ist. Sie hat bereits das silberne Schwimmabzeichen und zudem einen Schnuppertauchgang gemacht. Nach ihrer Erstkommunion im Frühjahr möchte sie einem örtlichen Tauchverein beitreten. Besser könnte es eigentlich nicht laufen. Doch jedes Kind ist bekanntlich anders und dieses außerdem ein Junge.
Das große Warten hat nun ein Ende, wir kommen im Krankenhaus an. Zeit, dass wir uns beschnuppern. So ein Neugeborenes ist doch etwas ganz anderes als die Babys, die mir bisher in den Arm gelegt wurden. Voller Vertrauen schläft er auf jedem Schoß selig vor sich hin, direkt ein Teil der Familie. Erst ganz am Ende, gerade als wir wieder aufbrechen wollen, öffnet er ein Auge. Obwohl er noch nicht fokussieren kann und sicher eher die Stimmen und Gerüche in sich aufnimmt, bin ich überzeugt, dass er mir kurz zugeblinzelt hat. Es kann also nur gut werden mit uns beiden.
Die wichtigsten Rollen in seinem Leben sind mit den Eltern und der Schwester perfekt besetzt, auch beim Rest der Familie ist er in besten Händen, so dass ich im neuen Jahr bedenkenlos und beseelt wieder tauchen gehen werde. Dabei bin ich sehr dankbar, in ihrem Leben so willkommen zu sein.
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