Raus, wenn du kannst, hat uns in doppelter Hinsicht durch diesen Winter getragen. Im Bann der Jahreszeiten diente es uns als vage Hoffnung auf eine wohligere Zukunft, doch wichtiger war sicher die nähere Umgebung zu erkunden, damit wir während dieses Wartens nicht durchgedreht sind. Jedenfalls noch nicht. Immer mal wieder waren wir kurz der Verzweiflung oder dem Wahnsinn nahe, denn wir möchten nicht einfach nur durchhalten, sondern unser Dasein weiterhin aktiv gestalten, die Welt neu erfahren und uns selbst darin ausleben, so gut es eben möglich ist. Tipps und Visuelles für alle, die wie wir dringend raus müssen – und sei es nur im Geiste.
Im Bann der Jahreszeiten
Eigentlich fing alles so gut an (Richtig Stimmung unter dem Gefrierpunkt). Nach dem herrlichen Wintereinbruch startete der Frühling mit voller Kraft durch, nur um uns dann lange Zeit komplett auszubremsen. Ganz genauso verlief es mit der Politik rund um die Lockerungen im Freizeitbereich. Gerade, als die Museen, zumindest die größeren Häuser durchgehend gut belüftete Orte mit eigenem Sicherheitspersonal, das ohnehin immer auf die Umsetzung bestimmter Regeln achtet, startklar waren, Besucher zu empfangen, mussten sie beispielsweise in Dortmund direkt wieder schließen. Eine Wiedereröffnung wird gerade geprüft (und sollte hier bekannt gegeben werden). Unterdessen kann man immerhin auf den Zoo ausweichen. Im Westfalenpark zeigte sich uns der Frühling bereits Anfang März von seiner besten Seite.
Wann immer Sonnenstrahlen die Erde gekitzelt haben, um die Frühjahrsblüher aus dem Boden zu locken, waren wir zur Stelle. Eigentlich liegt es mir nicht, Pflanzen zu fotografieren, aber ich konnte nicht widerstehen, wie die erste Fotostrecke zeigt. Bei Spaziergängen in umliegenden Wäldern und Feldern sowie Ausflügen in die Umgebung konnten wir wenigstens geliebte Menschen treffen , so dass diese doppelt dazu beigetragen haben, die grauen Zwischenphasen von Winter und Frühling zu überstehen. Dabei haben wir nicht nur Blümchen außer Haus bewundert, sondern auch versucht den verwirrten Hummeln, die sich offensichtlich ebenfalls mehr von diesem Frühlingsanfang versprochen hatten, auf dem Balkon mit Zuckerwasser unter die Flügel zu greifen. So richtig angefixt waren sie allerdings nicht. Vielleicht war die Mischung nicht nach ihrem Geschmack.
Um uns selbst an Kunst sattzusehen, liefen wir Mitte März gleich in der Ausstellung „Picasso/Miro eine Künstlerfreundschaft“ im Kunstmuseum Münster, die ebenso wie der Skulpturenpark an der Villa Waldfrieden in Wuppertal weiterhin besucht werden können. Sie wurden zu meinen persönlichen Lichtblicken im verhinderten Frühling. Wenn man die Beuys-Ausstellung in den Pavillons auf dem Waldgelände in Wuppertal betreten möchte, muss man allerdings einen negativen Coronatest vorweisen, der nicht älter als 24 Stunden sein darf. Ebenso hält es die Stadt Essen mit dem Ruhrmuseum oder dem Folkwang Museum. Es mag nerven, dass die Regeln überall unterschiedlich sind, aber um einfach mal raus zu kommen und neue Eindrücke in sich aufzunehmen, nehme ich so eine Suche und vorherige Anmeldung in Kauf. Und ganz ehrlich – zumindest unter der Woche – hatten wir jeweils reichlich Platz, um die Kunstwerke zu bestaunen.
Frühlingserwachen und Kunst
Raus, wenn du kannst
Sobald es relativ windstill war, zogen wir mit doppelter Begeisterung los, damit Yoeri für uns die Welt von oben aufnehmen konnte. So wird er noch monatelang für visuelle Entspannung sorgen (Take a Minute to Fly). Viele der historischen Gebäude waren zwar geschlossen, manchmal sogar die umliegenden Gärten, was wirklich schade war, denn Menschenmassen sind wir selbst bei strahlendem Sonnenschein nirgendwo begegnet, dafür immer wieder Störche (siehe Fotos weiter unten).
Ausflüge hin oder her, die meisten Tage gingen trotz allem in einem großen grauen Rauschen unter. War das schon immer so? Es ist das erste Mal seit zehn Jahren, dass Yoeri und ich so lange am Stück in Europa sind (Aufbruch und Abschied). Wir bitten daher um Nachsicht, nicht nur für uns, für uns alle. Ich kann verstehen, dass Familien in den Urlaub fliegen, wenn es ihnen verboten ist, einfach eine Ferienwohnung im Grünen in Deutschland zu nehmen. Keiner weiß, was Andere während dieses Jahreswandels mit Einschränkungen schon durchstehen mussten oder auf sich genommen haben.
Was für manche eine Freude ist, ist für andere eine Tortur und ich spreche hier nicht nur von Kunstausstellungen. Empfindungen von äußeren Einflüssen sind genauso wie Einschätzungen einer Situation und die Gefühle, die etwas hervorruft, äußerst subjektiv. Jeder ist das Zentrum seines eigenen Universums, doch damit keinesfalls das Maß der Dinge. Auch wenn Yoeri und ich mit allen Wassern gewaschen sind, mögen wir es dabei genauso wie, wenn wir auf dem trockenen Sitzen, schön warm.
Obwohl mir aus diesem Grund die Vorstellung eines ganzen langen Winters ordentlich Respekt eingeflößt hat, wollte ich dieses Jahr nicht über das Wetter jammern, die Jahreszeiten nicht einfach nur ertragen, durchstehen wie eine drohende Erkrankung oder als notwendiges Übel ansehen, das ich leider nicht verändern kann. Schließlich liegt in jeder Situation eine Chance, etwas zu lernen und zu verändern – zuallererst in uns selbst – oder wenigstens mit anderen Augen zu sehen. Dafür hilft, anderes zu sehen, also: Raus, wenn du kannst, notfalls allein in Gedanken.
Eindrücke und Ansichten
Gegen die Kälte: Andere Perspektiven
Gegen die real existierende Kälte kaufte ich mir Thermostrumpfhosen und Wollpullis. Ich war bereit, dem Winter zu trotzen, nur um festzustellen, dass die Kälte gar nicht die größte Herausforderung war. Es war das mangelnde Licht, vielleicht zusätzlich verdüstert durch die bewegungstechnischen Aussichten, die ich bis zum offiziellen Frühlingsanfang größtenteils ausblenden konnte. Als es noch im März tagelang überhaupt nicht hell zu werden schien, kamen Erinnerungen hoch. Stimmt, mit Anfang 20 hatte ich begonnen, mich im Winter mit Lichtbad in der Sauna und Sonnenbank zu therapieren. Doch solche Herzenswärmer fielen, wie so vieles, auf unbestimmte Zeit aus.
Ich begann noch tiefer in meinen Erinnerungen zu wühlen. Auf einmal sah ich mich, wie ich in Iquitos, einer peruanischen Stadt mitten im Amazonas, die nur mit dem Flugzeug oder per Boot erreichbar ist, einer peruanischen Familie zu beschreiben versuchte, was Schnee ist. Sie waren so lieb, uns bei sich aufzunehmen, einfach nur, weil Pedro mit uns zusammen bei der Deutschen Bahn arbeitete. Noch schwieriger wurde es, als seinen beiden Cousinen erklärte, dass ich, obwohl ich die Kälte nicht mochte, Schnee liebte – mittlerweile Eis noch ein wenig mehr als Schnee (Richtig Stimmung unter dem Gefrierpunkt).
In dieser Tropennacht in Iquitos war es etwas frischer als üblich, vielleicht 25 Grad oder so, was ich als äußerst angenehm empfand. Jedoch begann ich unweigerlich zu schwitzen, als die Ältere der beiden sich ernsthaft in eine Daunenjacke mümmelte. Gerne wollte sie ihrem Cousin folgen, doch hatte sowohl Angst vorm Fliegen als auch vor den Booten, die sie in ein anderes Leben hätten tragen können. Was sie heute wohl macht? Seit dieser Erinnerung habe ich eine alte Gewohnheit wieder aufgenommen, Wechselduschen, und bilde mir ein, dass mir seitdem die Kälte weniger in die Knochen kriecht. Vielleicht liegt es auch daran, dass es mittlerweile länger hell ist …
Wenn der Regen fällt
In Iquique (Chile), wo ich drei Jahre zuvor eine Praktikum in einer sozialen Einrichtung gemacht hatte, träumten die Kinder nicht von anderen Kontinenten. Sie nahmen, was sie kriegen konnten und auch wenn Weihnachtsgeschenke ihre Augen zum Leuchten brachten, habe ich sie nie so ausgelassen gesehen wie an dem einen Tag, als Regen fiel. Weihnachten kam jedes Jahr und immer wollten irgendwelche Vereine, Unternehmen oder Institutionen etwas schenken, um sich selbst besser zu fühlen.
Leider taten die ganzen Süßigkeiten und das billige Plastikspielzeug weder den Kindern noch der Umwelt gut, doch das sahen die glücklichen Geber, bereits auf dem Weg zu ihren glücklichen Familien daheim, nicht mehr. Im Gegensatz zu Bali war es bei weitem nicht genug Regen, um den Müll fortzuspülen (Muck Diving: Schätze in Schlamm und Müll). Regen ist am Rande der Atacama, der trockensten Wüste der Welt, einfach eine solche Seltenheit, dass wir es alle gemeinsam genossen, die Tropfen auf der Haut zu spüren. Obwohl es stoppte, bevor sich Pfützen bilden konnten, waren alle erfüllt.
Auch hier in Deutschland versuche ich, mich damit zu trösten, dass der Regen gut für das Land ist. Seit 2010 lagen die Niederschlagsmengen fast jedes Jahr unter dem Durchschnitt. Da wir mit Wasser, genauso wenig wie mit anderen Ressourcen, nicht nachhaltig umgehen, sinkt der Wasserspiegel in vielen Regionen Deutschlands kontinuierlich. Das können regionale Starkregenfälle, die im Gegenzug zugenommen haben, nicht ausgleichen, zumal dieses Wasser viel zu schnell abfließt, statt langsam im Boden zu versickern, um anschließend den Pflanzen in Feldern und Wäldern zur Verfügung zu stehen. In der Tendenz werden Herbst und Winter nasser, der Sommer dafür trockener, was die Nachfrage nach Wasser in der Landwirtschaft zusätzlich anheizt. Ein Teufelskreis, doch ich wollte ja nicht jammern. Klimafolgen für Deutschland listet das Umweltbundesamt schön sachlich und nach Sektoren unterteilt auf. Wann hören wir hier eigentlich auf die Wissenschaft?
Nicht zur Ruhe kommen
Gerade schafft es ein Tag, ganz locker drei Jahreszeiten in sich zu vereinen, was dramatische Aussichten erlaubt, aber nicht zum Mitmachen einlädt. Die Natur nimmt eindeutig Fahrt auf, aber trotz allem fühle ich mich ein wenig losgelöst vom Geschehen, unverbunden mit der Welt, immer im Begriff weggepustet zu werden. Wohin uns die Eskapaden des Frühlings tragen, ist mir gerade noch schleierhaft.
Am liebsten würde ich flüchten. Nicht etwa in den Urlaub, nein, ganz einfach in unser „normales“ Leben, zu einem Platz am Meer irgendwo, wo es warm bleibt, selbst wenn der Regen fällt und wo ich mich ins Meer zurückziehen kann, wenn im Außen alles zu chaotisch ist (Im Rhythmus der Tropen). Gerade als sich diesbezüglich neue Perspektiven wie die jungen grünen Blätter an den Bäumen zu entfalten begannen, zog der nächste Sturm über uns hinweg. Um dem ganzen Wahnsinn die Krone aufzusetzen, schneit es immer mal munter. Hoffentlich erfrieren dabei nicht alle Blütenträume, die sich erst gerade hoffnungsfroh der Sonne entgegen gereckt haben. Vom Winde verweht, geht es mal hierhin, mal dorthin. Ist das Frühjahrsmüdigkeit?