Es ist jedes Mal schön nach Europa zurückzukommen, insbesondere wenn wir schon wissen, wohin es im weiteren Verlauf des Jahres gehen wird. Diese Heimkehr hat einen bitteren Beigeschmack, wird mit einem großen Schuss Ungewissheit serviert. Einerseits bleibt alles auf Distanz und angespannt, andererseits geht das Leben scheinbar seinen ganz gewohnten Gang. In Drenthe sitzen wir recht behütet mitten in einer Urlaubswelle. Die eigene Quarantäne und lange Sommertage boten Zeit für Rück- und Ausblicke über den Maskenrand.
Heimkehr auf Distanz
Auf dem Flughafen in Amsterdam müssen wir etwas verloren gewirkt haben, denn wir bekommen umgehend Hilfe, um Geld auf unsere Zugfahrkarten zu laden. Einchecken und auf geht’s zum Zug nach Assen, wo wir uns vor gut einem halben Jahr von Yoeris Eltern verabschiedet haben (Aufbruch und Abschied). Der öffentliche Nahverkehr ist einer der wenigen Orte, an denen in den Niederlanden verpflichtend Masken getragen werden müssen. So sitzen wir mit all unserem Gepäck im Durchgang, denn dafür gibt es in den Abteilen keinen Platz, und versuchen den ein- und aussteigenden Menschen auszuweichen.
Gerade als wir unsere Zugkarten aus dem System abgemeldet haben, schießt der Boxer Brandy auf Yoeri zu. Während er an uns hochspringt, um Nasen und Ohren abzulecken, dient er gleichzeitig als Abstandshalter. Zum Glück bin ich so müde, dass ohnehin alles etwas surreal wirkt. Dass wir uns zur Begrüßung nicht umarmen und küssen, fühlt sich ganz und gar nicht normal an. Bei den Niederländern sind es im Allgemeinen drei Küsschen: links, rechts, links. Manchmal aber auch abgekürzt oder ergänzt durch eine Umarmung.
Für mich persönlich lässt sich in eine gute Umarmung viel mehr Gefühl legen als in Bussis, ganz egal wie viele es sind. Ersatzweise umarme ich mich selbst, was mich nicht nur davon abhält, jemand anderem zu nahe zu kommen, sondern tatsächlich einen Teil der körperlichen Reaktionen auslöst, die eine „richtige” Umarmung so entspannend und energiegeladen macht. Denn das Gehirn schüttet dann Dopamin und Serotonin aus. „Mögen wir gesund sein,” schicke ich in die Welt, während mir die Sonne ins Gesicht scheint, „damit wir uns alle bald wieder richtig umarmen können.”
Wir schwatzen fröhlich durcheinander, wobei mir das Niederländische nicht leicht von der Zunge rollt. Die Aussprache im Norden ist nicht gerade weich, aber so stockend muss es nicht sein. Sich wieder in einer Sprache einzurichten, dauert seine Zeit ganz genauso, wie sich nach längerer Abwesenheit wieder in einer gewohnten Umgebung zurecht zu finden. Je öfter und je länger ich weg war, umso schwerfälliger fühlt es sich dieser Prozess an.
Das Wohnmobil ist bepackt, mit dem Hund und zwei Katzen gehen Yoeris Eltern auf Tour, während wir mit dem Auto nach Hause fahren. Wiedersehen und Abschied in nur 15 Minuten haben wir bisher auch noch nie gehabt. Unterwegs stoppen wir an einem Supermarkt. Das sind die Momente, wenn ich gerne einkaufen gehe, wenn ich mich schon seit Monaten auf bestimmte Geschmäcker und Produkte freue. Die Gewöhnung kommt in der Regel sehr schnell.
Einkaufserlebnis
Also Hände desinfizieren und raus aus dem Getümmel. Ehrlich gesagt, haben wir den Laden selten so voll erlebt. Zudem trägt niemand eine Gesichtsmaske, selbst die Angestellten nicht. Zum Schutz der Kassierer sind Abtrennungen aus Plexisglas fest installiert. Auch zwischen den Schlagen sind diese transparenten Trennwände angebracht, wobei es in jedem Geschäft wieder anders geregelt ist, wie wir nach unserer Quarantäne feststellen.
Ich denke an den Indomarket in Amed, in dem ebenfalls eine Abtrennung zwischen Kassierern und Kunden aufgehängt wurde. Nur schoben die Mitarbeiter die gescannten Waren nicht weit genug zurück, so dass alle Kunden sowohl ihnen als auch der Folie unangenehm nahe kommen mussten. Die feste Plastikfolie war unten vertikal in breiten Streifen angeschnitten, die sich nach einigen Wochen zusammenrollten, so dass noch mehr von der Schutzfunktion verloren ging. Ob sie diese wohl jemals desinfiziert haben?
Frisches Obst und Gemüse konnten selbst wir als Ausländer auf dem Markt in Bali günstiger einkaufen, doch viele andere Produkte von Milch und Käse über Nudeln und Konserven bis zu Schokolade und anderen Süßigkeiten waren teurer. Der bunte Einkaufswagen macht mich schon glücklich, die Aussicht richtig kochen zu können, noch mehr. Irgendwie hat mich die Zeit auf Bali dieses Jahr häuslicher werden lassen. Eine Freundin hat ihrer Tochter in der Coronazeit das Kochen beigebracht, so gesehen habe ich einiges nachzuholen (Warum auf Bali das Toilettenpapier nicht knapp wird).
Zum Abschluss Sanur
In unseren letzten Tagen in Sanur im Süden von Bali hatten wir keine Kochgelegenheit mehr, aber ganz konkrete Pläne, was wir wo essen gehen wollten. Doch das thailändische Restaurant war geschlossen und Pizza mit einem Glas Rotwein dazu konnte ich nur mit Willensstärke und Ablenkung dazu überreden, doch bitte nicht nur als Gastspiel in mir Station zu machen. Nach dieser Erfahrung verschob ich meine Essensgelüste auf die Zeit nach der Ausreise (Hauptsache weg: Reisen in Zeiten von Corona).
Überhaupt war der Ort nicht wiederzuerkennen. Selbst wenn die Läden und Restaurants geöffnet waren, gab es kaum jemanden, der sich dorthin verirrte. In unserem über die Jahre liebgewonnen Radha Homestay waren wir für drei Nächte die einzigen Gäste. Als wir im Januar ankamen lief das Geschäft trotz Nebensaison sehr gut und auch im März hatten sie noch eine ganze Reihe Gäste, gerade auch in den höherpreisigen Räumen, die sie erst im Jahr davor angebaut hatten. Wir haben nicht gewagt zu fragen, wann das letzte Mal jemand da war, nur eine erste Bewertung für sie auf Tripadvisor hinterlassen, wo bereits eine ganze Palette von zusätzlichen Hygienefragen auf zukünftige Reisende wartet.
Auf dass es ihnen einen glücklichen Neuanfang bescheren möge, wie auch immer der Tourismus sich in Zukunft tatsächlich entwickeln wird. Alle warten darauf, dass der internationale Flughafen wieder geöffnet wird. Doch zuerst muss sich Indonesien entschließen, wieder Visa zu vergeben. Es sind Modelle von gelenktem Tourismus, sogenannten Reiseblasen mit Ländern wie China, Korea, Japan und Australien im Gespräch. Wobei Australien angekündigt hat, dass Auslandsreisen erst wieder möglich sein werden, wenn es eine Impfung gibt. Selbst wenn mit den anderen Ländern Reisekontingente vereinbart werden, ist davon auszugehen, dass die Besucher in den großen ohnehin abgeschotteten Touristenburgen in Nusa Dua an der Südspitze der Insel untergebracht werden und private Anbieter außen vor bleiben werden.
Letzte Einkäufe, letzte Eindrücke
Im kleinen Laden, der dem Homestay angegliedert ist, kaufte Yoeri noch einen letzten Sarong, wobei die Besitzerin sofort einen Preis nannte, der fair klang. Vielleicht, weil sie uns kennt, vielleicht machte ihr das Handeln gerade einfach keinen Spaß (Kaufen und Handeln). Die meisten Läden bleiben geschlossen, doch manche Besitzer scheinen sich zu denken, dass sie genauso gut auf dem Boden vor ihrem verwaisten Geschäft wie Zuhause sitzen können. Jeder Kontakt ist besonders herzlich, selbst wenn es nicht zu einem Kauf kommt. Der Wert einer menschlichen Begegnung an sich ist über die letzten Wochen und Monate gestiegen. Ich hoffe, dass dies in anderen Ländern genauso ist.
Bis vor ein paar Tagen war der Strand in Sanur noch komplett abgesperrt. Die regionalen Unterschiede auf Bali verblüffen mich erneut (Leben unter Corona: Regeln und Realität auf Bali). Wehmütig stehen wir auf der Promenade, nicht nur unsere Weinbar gleich das ganze Hotel scheint geschlossen zu sein. Ein Jogger mit Mundschutz ganz allein auf weiter Flur bringt mich zum Schmunzeln. Doch als wir wieder die Hauptstraße entlang laufen, die Maske in der Hand, um sie vor Betreten eines Geschäfts aufzuziehen und uns artig die Hände zu waschen, kommt ein ganzer Trupp balinesischer Männer auf uns zu. Die schwarzen Hemden und einheitlich karierten Sarongs, die sie alle tragen, weisen sie als Autorität aus. Egal, ob Polizei oder Nachbarschaftswache, jedenfalls fordern sie uns auf, unsere Maske immer und überall zu tragen. OK, in unserem Hotelzimmer dürften wir sie abnehmen.
Als ich erkläre, dass es uns leid täte, wir dachten, sie wäre nur in Geschäften notwendig, erwidert der Wortführer: „Nicht nur wir müssen die Masken die ganze Zeit tragen, sondern auch ihr.” Autsch, für balinesische Verhältnisse ist das eine ganz schön patzige Antwort, zumal die Worte scharf und schneidend ausgespuckt werden. Bisher habe ich noch nie erlebt, dass ein Balinese so aus der Rolle fällt, wenn er mit Fremden spricht. Die Pandemie hat die Insel in die Knie gezwungen, hier kann kein Binnentourismus die Verluste auffangen. Traurige Augen blicken über den Maskenrand.
Drenthe, die schönste Provinz der Niederlande
Als ich vor kurzem nach einer offiziellen Website suchte, die die Provinz Drenthe vorstellt, stieß ich auf die irritierende Aussage, Drenthe sei eine Provinz Hollands. Das kann nur ein Holländer oder ein Ausländer geschrieben haben, denn es wäre in etwa so, als wenn Bayern zu einem Bundesland von Berlin erklärt würde.
Die Niederlande gliedern sich seit 1986 in zwölf Provinzen. Nordholland mit Amsterdam und Südholland mit Rotterdam sind die einwohnerstärksten und sicher auch einflussreichsten Provinzen im Königreich der Niederlande, weshalb sich der Name Holland fälschlicherweise für das ganze Land etabliert hat. Wenn man nicht den Zorn der Einheimischen auf sich ziehen möchte, spricht man außerhalb der Provinzen Hollands nicht von Holländern, wenn man die Einwohner des gesamten Landes meint.
Doch viele Deutsche fahren tatsächlich immer wieder nach Holland in den Urlaub, dabei gibt es so viele andere schöne Ecken in den Niederlanden. Seit ich mir einen Nordling unter den Nagel gerissen habe, erfreue ich mich fast jedes Jahr an der abwechslungsreichen, kleinteiligen Landschaft Drenthes: Dünen mit offenen Sandflächen, Heide und Moor, Felder und Wälder abgegrenzt durch Seen und kleine Wasserläufe in Kombination mit Weiden gespickt mit Nutztieren, hier und da ein Hügelgrab und schnuckelige Dörfchen (We love Drenthe).
Wir konnten bereits weitere Anhänger für die schönste Provinz der Niederlande gewinnen, doch die Suche nach Unterkünften machte mehr als deutlich, dass sich dieses Jahr viele vom Reiz des Nordens verzaubern lassen möchten. Drenthe, Groningen und Friesland, die nördlichen Provinzen der Niederlande, sind vergleichsweise dünn besiedelt und haben, sogar im europäischen Vergleich, eine der niedrigsten Infektionsraten mit Covid-19. Da viele Deutsche wie Niederländer ihren Sommerurlaub nicht ganz aufgeben wollten, aber auch nicht Gefahr laufen wollen, in einem Reiseland festzusitzen oder nach dem Urlaub in Quarantäne gehen zu müssen, sollten die Infektionszahlen im Ferienort steigen, wird fleißig Urlaub im eigenen Land gemacht.
Regional verreisen, ist im Sinne von ökologischer Nachhaltigkeit, vor allem für den Klimaschutz, gut. Nichtsdestotrotz reißt diese abrupte Veränderung wirtschaftliche und gesellschaftliche Gräben auf und stellt Reiseregionen wie Bali vor massive Herausforderungen. Während der Großteil der Bevölkerung einfach darauf wartet, dass sich die weltweite Lage beruhigt, nutzen diejenigen mit Geld und Einfluss den wirtschaftlichen Zusammenbruch, um sich Beteiligungen an den Sahnestücken des Tourismusmarkts anzueignen.
Alte und neue Rituale
Auspacken und vor allem gründlich reinigen, markiert unser Nachhausekommen. Bisher haben wir dies auf unser Gepäck, aber vor allem auf uns selbst bezogen. Ein schönes, langes Blubberbad mit einem Glas Whiskey erleichtert es uns, in der neuen alten Welt wieder einzufinden. Von Bali in die Niederlande ist es nicht nur räumlich eine weite Reise.
Das erste Mal hatte ich mit 20 Jahren das Gefühl in eine altbekannte und doch fremde Welt zurückzukommen. Nach den Monaten mit sozialer Arbeit in Iquique im Norden Chiles erkannte ich nicht nur, dass ich keine Sozialarbeiterin werden wollte, sondern auch in welch einem Luxus wir eigentlich leben. Damals kam mir das Auto, in dem mich meine Mutter vom Flughafen abholte, wie ein Raumschiff vor. So viel Auswahl, so viele Möglichkeiten sowohl für Freizeit als auch Berufswahl und trotzdem wurde so viel gejammert, so viel bemängelt, sich auf kleine negative Punkte fokussiert, statt sich zu freuen über all das, was ist und sich selbst auszurichten auf das, was noch alles möglich ist.
Jetzt sind wir erst einmal dankbar für all die Annehmlichkeiten. Ein ganzes Haus für uns allein, über mehrere Etagen erstrecken sich die Zimmer, fast die Hälfte wurde nach und nach angebaut, darunter auch Wintergarten und Dachterrassen. Es sind die offensichtlichen Dinge wie eine Waschmaschine, eine gute Matratze, vier Kochplatten, Backofen und alles weitere Zubehör, was eine moderne Küche so bietet. Den Fernseher bekommen wir nicht ans Laufen, freuen uns aber darüber, dass wir die Wassertemperatur an jedem Wasserhahn regeln können. Morgens frischen Kaffee mahlen und jeden Tag eine andere Teesorte ausprobieren.
Das allerschönste ist die Stille. Es ist ohnehin sehr ruhig in der Nachbarschaft, aber selbst wenn dort etwas los wäre, könnten wir einfach die Fenster schließen und hätten unsere Ruhe. Zum ersten Mal umfasst das Großreinemachen, nicht nur uns selbst und die Dinge, die wir dabei hatten, sondern auch alles, was hier auf uns gewartet hat. Ein Hoch auf einen Staubsauger, mit diesen ollen kleinen Besen, mit denen man zwar Sand aus dem Zimmer fegen kann, wurden wir den Staubmassen nie Herr. Jenseits des Bodens schien in den Räumen nicht einmal Staub geputzt zu werden, wenn es eine Übergabe von einem Mieter auf den anderen gab. Da mich die Vorhänge dort immer zum Niesen gebracht hatten, wusch ich unsere jetzt, während sich Yoeri in die Gartenarbeit stürzte. Schließlich holten wir nach, was andere im März und April rund um Haus und Garten gewerkelt hatten.
Bei unserer ersten Radtour ins Dorf, radelten wir auf der linken Straßenseite bis uns ein Auto entgegen kam. Noch in der dritten Woche öffnete ich einmal die linke Autotür, um auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Bali wirkt noch auf verschiedenen Ebenen nach, aber die Zeit in der Ferne steckt mir nicht so in den Knochen, wie es letztes Jahr der Fall war. Statt Schwere und dem Bedürfnis zur Ruhe zu kommen, überwiegt Leichtigkeit und Tatendrang. Meistens jedenfalls, Stimmungen schwanken und Sorgen klopfen an die Tür, denn die äußeren Umstände sind dieses Jahr nicht gerade ideal für Tauchlehrer und andere, die im Bereich Tourismus arbeiten.
Heimkehr: Rück- und Ausblicke über den Maskenrand
Alles ist im Fluss. Die Heimkehr als fester Punkt in unserem Leben schafft gerade durch die Wiederholung die Möglichkeit, zu vergleichen, zu reflektieren und uns zu verändern. So wird der Kreis zu einer Spirale, die nicht nur steigt, sondern sich auch noch ausdehnt.
Nicht nur der Ort hat sich verändert, auch wir sind nicht mehr die gleichen Menschen wie zu Beginn unserer Reise. Nachdem wir eine Ehrenrunde gedreht haben, haben wir eine frische Sicht auf die Dinge und freuen uns auf das, was noch kommt.
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